
Rolf Wagner. Foto: Dominic Schwedes
Von Dominic Schwedes
Ein Dienstag, Mitte Mai, Kassel. Ich bin mit Rolf Wagner, Gründer und Leiter des ProLibris-Verlags, zu einem Interview verabredet. Der Verlag publiziert hauptsächlich Regiokrimis, also Kriminalromane, die einen regionalen Bezug zu Orten in Deutschland, Österreich oder der Schweiz haben. „Letzte Lesung Langeoog“ (Antje Friedrichs), „Land der Mädchen“ (Birgit C. Wolgarten) und „Stöberhai“ (Roland Lange) sind neben vielen weiteren beispielhafte Titel des Verlagsprogramms.
Angenommen ich hätte einen Krimi geschrieben, der in Kassel spielt. Welche Qualitäten bräuchte er, damit Sie ihn in Ihrem Verlag publizieren würden?
Prinzipiell wären Sie mit einem Kasselkrimi bei uns natürlich richtig. Sie brauchen erstmal eine gute Geschichte, die gut erzählt ist. Das heißt in erster Linie: Figuren! Figuren! Figuren! Also Sie müssen sich für jede Figur, vor allem für den Hauptprotagonisten, eine lebendige Figurenbiografie ausdenken. Außerdem: Spannung ist beim Krimi sehr wichtig. Das soll allerdings nicht heißen, dass fünf Morde passieren müssen. Ganz wichtig ist, dass Sie sich in der Region auskennen…
Damit sich die Leser aus der Region in den Geschichten wiederfinden können?
Genau, es bringt nichts, wenn Sie in Hamburg wohnen und sich dann denken: „Ah, bei ProLibris in Kassel kann ich gut einen Krimi, der in Kassel spielt, unterbringen!“. Da bringen kleine Internetrecherchen nicht viel. Die Leute hier wissen ja, dass es hier den Herkules und das Schloss gibt. Die interessieren Banalitäten nicht. Die wollen, dass Sie die Story so entwickeln, dass sie in der Stadt lebt. Sie müssen wissen, welche Radiosender es hier gibt, welche Zeitung gelesen wird und, und, und. Denn potentiell sind die Leute, die das Buch dann lesen werden Kasseler, Kasselaner, Kasseläner und so weiter.
Kritikerstimmen gegen den Regiokrimi gibt es ja sehr viele. Woran liegt es Ihrer Meinung nach, dass der Erfolg ungebrochen bleibt? Gibt es eine Art Stammpublikum?
Ja ich denke schon, dass es eine Art Stammpublikum gibt. Es springen ja sogar alle größeren Verlage auf den Zug auf. Die Leute freuen sich, wenn Sie ein richtiges Buch in der Hand halten, das in Ihrer Stadt spielt. Die denken sich dann: „Oh, da ist der Mord passiert, da geh ich lieber nicht lang, das ist mir zu unheimlich!“ Und darum geht es, das macht den Leuten Spaß. Das ist der Erfolg des Regiokrimis. Nach solchen Erlebnissen ist man dann vielleicht auch interessiert an den Krimis, die an anderen Orten spielen, in der Nähe oder wo man oft im Urlaub war. Und so könnte sich dann, denke ich, eine Art Stammpublikum entwickeln.
Einem Aufsatz* entnahm ich, dass Sie früher auch schon in regional orientierten Verlagen gearbeitet haben. Wählten sie deshalb die Orientierung für Ihren Verlag so? Aus Gewöhnung?
Aus Gewöhnung, naja. Ich habe dort ein paar Jahre gearbeitet, war allerdings hauptsächlich für Bildbände zuständig. Irgendwann denkt man dann nur noch regional. Außerdem war es auch gut für mich, denn es hat mir die Möglichkeit gegeben, ohne 100.000 € in der Hinterhand, mein Buch zu machen und durch Engagement, also in dem ich beflissen jede Buchhandlung im Zielgebiet abklapperte und dergleichen, selbst zum Erfolg beizutragen. Das hat man nur, wenn man regional orientiert ist.
War Ihre Grundintention dabei, dass Sie Ihr eigener Chef wären?
Genau. In dem alten Verlag ging es zwar auch um Dinge die mich interessierten, jedoch konnte ich ja beim Programm nicht mitreden. Dann dachte ich: „Wenn ich meinen eigenen Verlag aufmache, dann lohnt sich die ganze Arbeit, der ganze Einsatz. Die Überstunden mache ich dann für mich!“. Büchermachen ist für mich eine Leidenschaft und ich hoffe, das sieht man meinen Büchern auch an. Wenn da kein Chef sitzt, der fragt: „Wieso war das so teuer? Wieso dauert das so lange?“, dann macht mir das mehr Spaß.
In erwähntem Aufsatz schrieben sie auch, dass wohl das Schönste an Ihrem Job sei, einem jungen Autor sein erstes gedrucktes Buch zu überreichen. Könnten Sie noch weitere positive oder negative Aspekte Ihrer Arbeit darlegen?
Das fertige Buch, wenn aus der Druckerei die ersten Belegexemplare kommen, das ist schon immer ein großer Moment: „Hat alles geklappt? Sieht alles so aus, wie wir uns das vorgestellt haben?“ Da will man schon am liebsten einen Sekt aufmachen und feiern. Dann wäre da noch ins Zielgebiet fahren, wenn man eine Buchhändlerin, die zuerst sehr skeptisch war, überzeugen konnte ein paar Exemplare zu nehmen. Das ist wie die Ernte einholen. Negative Aspekte gibt es natürlich auch, wie in jedem Job, aber da geht es dann meistens um Bürokratie und Geld.
Können Sie denn gut leben von den Verlagseinnahmen?
Nun, wir leben mit mehreren Personen davon. Gut leben ist vielleicht etwas anderes. Verlagswesen ist wie der Buchhandel. Man muss sich ein kleines Stück selbst ausbeuten. Wir sitzen öfters bis Mitternacht im Büro. Manchmal müssen Nachtschichten sein, das lässt sich nicht ändern. Also leben kann ich davon, aber es ist schwierig. (lacht)
Dann danke ich Ihnen für das freundliche Gespräch und wünsche alles Gute für die Zukunft!
* Karl Heinz Nickel (Hrsg.): Literatur in der Region. Tagung des Vereins Literaturhaus Nordhessen e.V. am 30. Juni und 1. Juli 2006 im Schlösschen Schönfeld in Kassel.