„Das Live-Erleben kann nicht durch Couch-Geschichten ersetzt werden!“ – Gespräch mit Martin Sonntag, Leiter der Caricatura Kassel (WS 2020/21)

Foto: Schönewolf

Von Nele Schönewolf 

Im Jahr 2000 übernahm Martin Sonntag (Jg. 1968) die Leitung der vom Zeichentrio Klaus Heinz, Andreas Sandmann und Achim Frenz gegründeten Galerie für Komische Kunst – der Caricatura Kassel. Für das Interview traf ich ihn in der Galerie im Kulturbahnhof, welche im Moment (Januar 2020) aufgrund der Corona-Pandemie geschlossen ist.

Begeistert Sie Ihr Beruf als Leiter der Caricatura immer noch so sehr wie zu Beginn oder zeigen sich nach 20 Jahren Abnutzungserscheinungen?
Viele Sachen werden nach der Zeit zur Routine, diese kann ich jedoch an andere Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen übertragen. Trotzdem ist die Arbeit äußerst vielfältig und abwechslungsreich, sodass es immer spannend bleibt.

Also könnten Sie sich vorstellen, die Caricatura bis zu Ihrer Rente zu leiten?
Definitiv. Allerdings ist es für die Galerie sehr wichtig, dass ein Generationswechsel stattfindet, um dem Zeitgeist der Cartoons gerecht zu werden (lacht). Mir als „Alter Sack“ fällt es jetzt schon schwer, die „Codes“ der neuen Generation zu verstehen. 

Stehen Sie bei der Auswahl der Ausstellungen unter finanziellem Druck?
Primär geht es uns darum, für die Szene relevante Themen und Inhalte zu präsentieren. Natürlich müssen auch wir durch Eintrittsgelder und durch Verkäufe in unserem Shop Einnahmen erzielen. Glücklicherweise bietet uns die jährliche Ausstellung „Beste Bilder“ eine finanzielle Säule, die es uns erlaubt, mindestens eine Ausstellung zu zeigen, welche zwar in einem finanziellen Flop resultieren könnte, uns jedoch inhaltlich von großer Wichtigkeit erscheint.

Satire provoziert und polarisiert, dies wird an den terroristischen Anschlägen in Frankreich besonders deutlich. Würden Sie die Mohammed-Karikaturen ausstellen?
Tatsächlich haben wir die Mohammed-Karikaturen bereits 2007 im Rahmen eines dokumentarischen Blogs präsentiert, da wir es für relevant erachteten, die Öffentlichkeit über den Mechanismus des Aufruhrs aufzuklären. Außerdem haben wir die Veröffentlichung ausführlich vorbereitet und auch die Presse über unser Vorhaben informiert. Dadurch, dass die Medien sachlich und ohne zu provozieren darüber berichteten, kam es zu keinen Anfeindungen. In so sensiblen Bereichen hängt es sehr davon ab, was Medien daraus machen.

Darf Satire alles?
Satire darf nicht alles! Zwar ist in Artikel 5 des Grundgesetzes die Freiheit der Kunst verankert, welche besagt, dass die Kunst alles darf, aber durch die Paragraphen im Strafgesetzbuch sind uns einige rechtliche Grenzen gesetzt. Hier sind beispielsweise die Verbote von Verleumdung und Beleidigung, der Markenschutz, wie auch das Urheberrecht zu nennen. Die über 40 verbotenen Ausgaben des Satire-Magazins „Titanic“ machen die Grenzen deutlich.

Also würden Sie in der Caricatura alle Exponate ausstellen, die sich im rechtlichen Rahmen bewegen?
Wir zeigen nicht alles. Wir stellen lediglich sinnvolle und erklärbare Karikaturen aus, denen eine künstlerische Haltung zugrunde liegt. Einige Künstler provozieren, um provozieren zu wollen, ohne das Werk künstlerisch begründen zu können. Das ist nicht die Aufgabe von Satire.

Die Caricatura Kassel und Frankfurt haben 2020 den „Kulturpreis des Landes Hessen“ erhalten. Zeigt diese Auszeichnung, dass es Ihnen gelungen ist, Komische Kunst in der Kulturszene zu etablieren?
Wir sind sehr stolz darauf, diesen Preis erhalten zu haben, denn er zeigt die Relevanz von Satire in unserer Gesellschaft und belohnt uns dafür, dass wir es schon seit 30 Jahren machen. Neben dem Museum in Frankfurt und dem Wilhelm Busch Museum in Hannover versuchen auch wir hier in Kassel seit 1987 diese Kunstform zu vertreten und ihr ein Podium zu bieten. Dieser Aspekt unterscheidet uns von anderen Galerien, da bei uns nicht der Verkauf von Originalen oder die Vertretung von Einzelkünstlern im Vordergrund stehen. Die Caricatura hat zwar einen Anteil daran, dass diese Kunstform verbreitet ist, allerdings sind die Gründe des Hypes der letzten Jahre ganz vielfältig. Generell kann man sagen, dass Kultur Konjunktur hat, sobald ein Land in der Krise steckt. Satire ist einfach ein super Mittel, um gesellschaftliche Vorgänge zu bearbeiten.

Benötigen Sie das Preisgeld in Höhe von 45.000 € zur Aufrechterhaltung der Galerie während der Corona-Krise?
Ja, die Dotierung war für uns enorm wichtig (lacht). Natürlich haben wir von der Stadt Kassel, dem Land Hessen und dem Bund ebenfalls finanzielle Unterstützung erhalten, sodass wir sogar selbst eine Spendenaktion für Freie Künstler in Kassel starten konnten. Auch wenn viel Kritik an der Regierung geübt wird, werden wir dank der staatlichen Zuschüsse und dem Preisgeld bis Ostern mit einem „blauen Auge“ davonkommen.

Inwiefern haben Sie bei der von Ihnen eben genannten Spendenaktion des Kulturbahnhofes „Ohne Kultur isses für`n Arsch“ mitgewirkt und wie genau sah die inhaltliche Ausgestaltung der Kampagne aus?
Wir hatten die Idee, hochwertiges Toilettenpapier mit einer Karikatur des Kasseler Künstlers Gerhard Glück bedrucken zu lassen und in den Verbund Kulturbahnhof, dem die Caricatura auch angehört, eingebracht. Die Einnahmen von 54.000 € gingen direkt an die freie Kasseler Kulturszene. Neben dem Erlös diente diese Aktion auch der Neuaufstellung des Vereins Kulturbahnhof, da im Jahre 2019 der Vorsitzende und damalige Leiter des Bali-Kinos verstarb.

Wie schätzen Sie die Entwicklung des kulturellen Lebens in Kassel nach der Pandemie ein?
Leute sind immer noch hungrig auf Kultur, vielleicht sogar noch mehr als zuvor. Das „Live-Erleben“ und der direkte persönliche Austausch ist nicht durch „Couch-Geschichten“ zu ersetzen. Für Solo-Künstler ist die Krise ein richtiges Desaster, wobei Kassel durch die Unterstützungsmaßnahmen für Einzelkünstler besser aufgestellt ist als viele andere Städte. Dennoch wird es viele Künstler geben, die auf der Strecke bleiben. Und da stellt sich für mich die Frage, wie können die Gewinner der Krise herangezogen werden, um die Verlierer aufzufangen?

Vielen Dank für das interessante Gespräch!                                                                 

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