„Den Wahnsinn der Welt ertragen“ – Die Caricatura auf dem Weg zur Weltherrschaft. Interview mit Caricatura-Chef Martin Sonntag (SoSe 2014)

Martin sonntag

Foto: Rebecca Petri

Von Rebecca Petri

Martin Sonntag, Jahrgang 1968, ist Leiter der Caricatura – Galerie für Komische Kunst in der zweiten Generation. Er übernahm die Caricatura – gegründet vom Kasseler Zeichnertrio Claus Heinz, Andreas Sandmann und Achim Frenz – im Jahr 2000. Im Kasseler Kulturbahnhof, fester Ausstellungsort seit 1995, traf ich ihn für ein Interview.

Was begeistert Sie an Komischer Kunst?
Den Wahnsinn der Welt zu ertragen!

Die Caricatura existiert seit 1987. Was war ausschlaggebend für ihre Gründung?
Die Studenten der Kunsthochschule Kassel strickten gern ihre eigenen Legenden. Eine davon war, dass die Dozenten an der Uni nichts mehr beibringen können, weswegen sie ihre eigenen Dozenten organisierten. So entstanden Seminare mit F. K. Waechter, woraus die Idee zu einer Ausstellung der Karikaturszene entstand. Diese erste Ausstellung wurde Caricatura genannt welcher später als Name der Galerie übernommen wurde.

War die documenta im selben Jahrausschlaggebend für die Ausstellung?
Ja, klar! Es ist ein Phänomen in Kassel, dass alle Kunst- und Kultureinrichtungen zur documenta aufrüsten und natürlich von den Besucherzahlen partizipieren wollen, was damals auch bei der Caricatura der Fall war. Heute ist das anders: Mittlerweile richtet sich der Termin der documenta nach uns (lacht).

Was hast sich seit der Gründung verändert?
Sehr viel! Vor allem haben wir uns professionalisiert. Also, von der Idee einer studentischen Ausstellung zu einem professionellen Betrieb mit bundesweiter Ausstrahlung, einem städtischen Museum in Frankfurt und einer angeschlossenen Agentur. Wir sind mit unseren Ausstellungen national und international unterwegs.

Wie muss ich mir die Kooperation mit nationalen und internationalen Partnern vorstellen?
Ziel ist es zum einen, Ausstellungen, die vorhanden sind an andere Einrichtungen zu verleihen, zum anderen führen wir Produktionen auf Anfrage durch. Ein Partner ist zum Beispiel das Goethe-Institut in Indien.

Sind es immer Originale, die ausgestellt werden?
Das ist unterschiedlich. Wir sind vor allem dem Original verpflichtet und versuchen deswegen möglichst diese auszustellen. Manche Rahmenbedingungen erfordern es aber, kein Original auszustellen. Zum Beispiel Foyer-Stituationen, in denen die Sicherheit nicht gewährleistet werden kann. 

Geht dabei nicht zu viel vom Charme des Originals verloren?
Eindeutig! Viele Besucher unsere Galerie wollen das Original. Schon die Aura des Originals ist besonders. Gerade bei Karikaturen sieht man noch Verbesserungen, Veränderungen. Dennoch bleiben sie Reproduktionskust: Sie werden gemacht, um abgedruckt zu werden. 

Welche Zielgruppe wollen Sie mit Ihrem Konzept erreichen?
Zielgruppe… sind alle (schmunzelt), denn wir streben natürlich die Weltherrschaft an!

Laut Roland Kranz Das Komische in der Kunst definiert sich Komische Kunst als Kunst, die den Zweck hat den Rezipienten zum Lachen zu bringen. Stimmen Sie zu?
Das ist natürlich eine sehr verknappte Definition (lacht). Der Begriff „Komische Kunst“ wurde hier in Kassel von der Caricatura eingeführt: 1997, parallel zur documenta, die in diesem Jahr gar keine Malereien zeigte, hatten wir eine Ausstellung in der ausschließlich komische Malerei gezeigt wurde.

Was ist die Aufgabe von Komischer Kunst?
Sie soll aktuell diskutierte Themen aufzeigen. Die meisten Zeichner haben sich davon verabschiedet, dass sie die Welt verbessern oder verändern könnten. Für die meisten ist klar: es geht darum, die Stimmungslage des Klientels zu bestärken, Argumentationshilfen zu liefern.

Welche Themen werden bevorzugt angesprochen?
Alle Themen des Lebens. Es gibt nichts das nicht gezeichnet wird.

Gibt es auch Tabu-Themen?
Sicher! Religion, Sex, Randgruppen. Randgruppen können Frauen, Männer, Behinderte, Kinder, Ausländer sein. Eigentlich könnte alles eine Randgruppe sein.

Ich habe schon Karikaturen über Rollstuhlfahrer gesehen. Wie verhält es sich mit dem Thema Behinderung?
Das ist ein interessanter Bereich: Es gibt viele Karikaturen über Behinderte, allerdings will der Zeichner niemanden verletzten oder sich über jemanden lächerlich machen. Es gibt immer Leute, die sich über Rollstuhlfahrer-Witze aufregen. Die Behinderten hingegen – wir haben viele Rollstuhl fahrende Stammgäste – finden es gut. Sie wollen nicht ausgeschlossen und so diskriminiert werden.

Gibt es ein Thema, welches Sie schon immer mal ansprechen wollten?
(Lacht) Es ist schwierig, ein gutes Thema zu finden, da schon zu fast allem ausgestellt wurde. Was ich interessant finde, sind unsere internationalen Ausstellungen, wenn wir Künstler aus anderen Ländern präsentieren, die man in Deutschland kaum kennt. Eins meiner Lieblingsprojekte ist unsere Sommerakademie. Auch Ausstellungen kurzfristig auf die Beine zu stellen, finde ich interessant. Es sollte auf jeden Fall eine Sinnhaftigkeit besitzen.

Das war für die Gründer ausschlaggebend, die Caricatura im Kulturbahnhof anzusiedeln?
1992 wurde der Bahnhof Wilhelmshöhe eingeweiht, weswegen der alte Hauptbahnhof fast leer stand. Um diesen Leerstand zu nutzen, haben sich die Filmladen-Leute, Caricatura und Gastronomen zusammen getan, um ein Konzept für einen Kulturbahnhof zu entwerfen. Der Vorschlag wurde von der Stadt und Deutschen Bahn mit Euphorie angenommen. Diese verfliegt aus Seiten der Bahn immer mehr und momentan marodiert das Gebäude vor sich hin. Wir sind kaum noch in der Lage verantwortungsvoll und seriös zu arbeiten. Entweder muss komplett saniert werden, oder wir müssen einen anderen Ausstellungsraum finden.

Wenn Sie den Standort im Kulturbahnhof nicht mehr betreiben können, wohin würden Sie ausweichen?
(Denkt nach) Fridericianum! (lacht)

Vielen Dank für das nette Gespräch!

www.caricatura.de