
Foto: Manon M. Koch
Von Manon M. Koch
Seit Herbst 2019 ist Dr. des. Ann Katrin Düben (Jg. 1984) Leiterin der Gedenkstätte Breitenau in Guxhagen bei Kassel. Geprägt von langjähriger Gedenkstättenarbeit in Leipzig spricht sie über das Erinnern, vielfältige Zugangsmöglichkeiten zur NS-Verfolgung und die Rolle von Gedenkstätten.
Was unterscheidet eine Gedenkstätte von einem Museum?
Die Gedenkstätten haben sich stark aus dem Impuls heraus gegründet, die Erinnerung an die Verfolgten zu wahren, ihnen eine Stimme zu geben. Ihr Konzept ist unter anderem ein Resultat der Aushandlungsprozesse in den 80er-Jahren. Also der Wiederentdeckung der teils verdrängten, vergessenen Geschichte. Es sind arbeitende Bildungsorte und deren Funktion geht über das Museum hinaus. Sie haben eine forschende Aufgabe und auch Vermittlung ist ein ganz wichtiger Aspekt. So gibt es Parallelen zwischen einem Museum und einer Gedenkstätte, aber ich denke, das Gedenken und auch die moralische Aufladung sind wichtige Unterscheidungskriterien. Und man kann fragen: Wie werden sich Gedenkstätten verändern? Auch dort sind Prozesse der Musealisierung zu beobachten und die genuine Aufgabe des Geden-kens an die Verfolgten ändert sich zurzeit. Zunehmend steigt das Bewusstsein, dass man sich auch mit den Tätern, den Verantwortlichen, der Mehrheitsgesellschaft auseinandersetzen muss.
Also ändert sich das Erinnern?
Es erweitert sich. Ich vertrete ein dynamisches Konzept von Erinnerungskultur. Da sind generationelle Prägungen wichtig, aber auch soziale Hintergründe. Personengruppen stellen verschiedene Fragen an die Vergangenheit und dementsprechend verändert sich auch Erinnerung. Gerade der Aspekt der Vergegenwärtigung – was passiert aktuell, welche Bezüge stelle ich zur Vergangenheit her – ist dynamisch. Im Juni veranstalten wir einen Workshop genau zu dem Thema „Zum Wandel der Erinnerung“. Der bezieht sich auch auf die Gedenkstätte direkt. Ich wünsche mir, dass es dort einen Erfahrungsaustausch zwischen den Generationen gibt.
Als Nachfolgerin von Dr. Gunnar Richter, dem langjährigen Leiter der Gedenk-stätte Breitenau, bist du nun Teil eines solchen Generationenwechsels. Was bringst du Neues mit an diesen Ort?
Ich bringe einen anderen Erfahrungshintergrund mit, weil ich jetzt 15 Jahre in Leipzig gelebt habe. Dort wurde ich stark von dieser sogenannten doppelten Vergangenheit und den Auseinandersetzungen, die sich darum drehen, geprägt. Es finden dort noch einmal andere Aushandlungsprozesse statt, wenn es darum geht, dass man an die NS-Geschichte erinnern möchte. Man ist immer wieder dem Vorwurf ausgesetzt, man würde die DDR-Geschichte oder die Verbrechen der SED relativieren. Ich bringe dadurch eine etwas politischere Sicht mit und ich kann mir vorstellen, dass auch die Erinnerungsarbeit an der Gedenkstätte Breitenau in Zukunft politischer wird. Also, dass man sich klar positioniert und sich zu aktuellen Herausforderungen äußert.
Der Geschäftsführer der niedersächsischen Gedenkstätten, Jens-Christian Wagner, beschreibt, dass vermehrt provokante Fragen in Führungen gestellt werden. Kannst du auch eine, wie er sagt, Verschiebung der „Grenze des Sag-baren“ feststellen?
Ja, Jens-Christian Wagner hat das ja für Bergen-Belsen festgestellt. In Leipzig haben wir das durchaus auch bemerkt. Da gab es schon AfD-Positionen und revisionistische Aussagen und auch hier in Breitenau gibt es Fragen, die ein Muster der Abwehr zeigen. Da würde ich mir wünschen, dass wir solche Argumentationsmuster entschlüsseln und das auch entsprechend vermitteln, da wir ja das Know-how dazu haben.
Was für eine Chance bietet es, hier eine künstlerische Auseinandersetzung zu integrieren?
Es gab ganz tolle Arbeiten, die im Rahmen der vorletzten documenta entstanden sind. Da hat es sich gezeigt, dass man durch einen künstlerischen Zugang eine Mehrschichtigkeit erreichen kann und er bietet ein Mittel abseits der Sprache. Das ist auch ein wichtiger Aspekt der Dauerausstellung. Sie macht Bedeutungszuschreibungen sichtbar und zeigt, dass Geschichte nicht abgeschlossen ist, sondern fortwirkt.
Ein Teil der Ausstellung bezieht sich auf Einzelschicksale, oder?
Die Gedenkstätte Breitenau und andere Gedenkstätten haben den individualisierten Zugang quasi mit entwickelt. Es hat sich bewährt, denn über ein Schicksal, über einen Menschen lassen sich komplexe historische Zusammenhänge besser vermitteln. Geschichte wird konkret. Ich glaube, die Frage ist, wie man darüber hinaus dann Teilaspekte sowie den historischen Kontext schärfen kann. Zum Beispiel gehe ich dann am Einzelschicksal noch einmal stärker in das Thema NS-Zwangsarbeit: Was hat der ausbeuterische Arbeitseinsatz für die Einzelnen bedeutet? Inwiefern genau war die rassistische Ideologie kennzeichnend für NS-Zwangsarbeit? Vom Kleinen zum Großen.
Aktuell (2020) wird das Stück „Mein verwundetes Herz“ nach dem gleichnamigen Buch von Martin Doerry am Staatstheater Kassel aufgeführt. Grundlage sind Briefe zwischen Lilli Jahn, die von den Nationalsozialisten im Straflager in Breitenau inhaftiert war, und ihrer Familie. Bist du in die Ausarbeitung involviert?
Gunnar Richter war als Experte der Ansprechpartner für die mitwirkenden Personen des Staatstheaters und hat ihnen eine Einführung gegeben. Darüber hinaus habe ich ein kleines Filmteam betreut. Die haben die ehemaligen Haftstätten und verschiedene Bereiche auf dem Gelände gefilmt und das wird dann im Hintergrund zu sehen sein. Ich bin schon ganz gespannt.