„Die Ideen sind überall versteckt, ich muss sie nur sehen!“ – Ulrike Vater über inspirierende Zeichenschüler und die Kunst im Lockdown (WS 2020/21)

Foto: Privat

Von Paulina Kreis

Ulrike Vater (Jg. 1958) arbeitet freiberuflich in Kassel als Illustratorin, Grafikerin und Zeichnerin und fertigt Auftragsarbeiten für Firmen aus verschiedenen Bereichen. Außerdem hat sie als Dozentin gearbeitet und gibt Zeichenkurse. Im Folgenden spreche ich mit ihr über ihre Arbeit mit Schülern, ihren Schaffensprozess und ihren Alltag als Künstlerin in der Coronapandemie.

Welche Kurse gibst du an der Kasseler Volkshochschule?
Ein Kurs heißt „Zeichnen macht Spaß“. Er richtet sich an Leute, die meinen, sie wären nicht gut genug im Zeichnen oder solche, die früher mal gezeichnet und aufgegeben haben. Und manche wollen einfach etwas Neues ausprobieren! Man muss kein großes künstlerisches Selbstbewusstsein haben, um mitzumachen. Ich habe für den Kurs eher unbekannte Techniken gewählt, da ist eigentlich für jeden was dabei. Den meisten macht es wirklich Spaß (lacht).
Der zweite Kurs unterstützt Menschen, die an einer Hochschule einen künstlerischen Studiengang belegen wollen und für die Aufnahmeprüfung eine Mappe anfertigen müssen. Aber im Moment fallen die Kurse natürlich aus.

Gibt es Dinge, die du von deinen Schülern lernst?
Im Jahr 2005 habe ich einen Lehrauftrag an einer Kasseler Kunstschule angenommen. Als Lehrerin habe ich wahnsinnig viel über mich selbst gelernt. Zum Beispiel, dass ich sehr viel mehr kann als ich dachte und viele Erfahrungen weitergeben kann. Das hat mich in meinem eigenen künstlerischen Selbstbewusstsein sehr gestärkt. Durch meine Schüler habe ich gelernt, ohne Vorskizze drauflos zu kritzeln. Es ist manchmal schwierig, in der freien Arbeit Themen zu finden. Beim gemeinsamen Zeichnen mit Schülern habe ich gemerkt: Die Ideen sind überall versteckt! Ich muss sie nur sehen. So ist zum Beispiel mein Projekt „Altpapier“ erst entstanden. Darauf wäre ich ohne den Unterricht nie gekommen.

Woher nimmst du die Inspiration?
Ich blättere oft in Zeitungen und nutze das, was passiert ist, als Anregung. Oder ich nutze ungewöhnliche Posen, die ich in den Bildern sehe. Zum Beispiel aus dem Sportteil, den ich sonst nie lese. Die Ideen sind eben überall versteckt.

Wie sieht es mit Blockaden aus?
Da fragst du genau die Richtige. Niemand kennt die besser als ich! Leider habe ich noch kein Gegenmittel gefunden. Ich beneide ja die Menschen, die aus tiefster Seele „schaffen“ müssen. Die eingehen, wenn sie nichts Kreatives machen dürfen. Ich mache es gerne, aber ich brauche es nicht zum Glücklichsein.
Kürzlich habe ich aber wieder mit dem Kritzeln angefangen und arbeite auch wieder an einer freien Serie, die längere Zeit geruht hat. Momentan habe ich ja die Zeit dafür.

Wolltest du schon immer Künstlerin werden?
Ich hätte mir nach dem Abi auch vorstellen können, Journalistin oder Buchhändlerin zu werden. Die Lehre für Letzteres habe ich aber nach ein paar Wochen abgebrochen. Ich hatte dann ein Jahr Zeit, die Mappe für die Kunstuni anzufertigen. Durch einen Bekannten wusste ich, wie schwer es ist, von Freier Kunst zu leben und wollte daher lieber Grafikdesign studieren. Diese Entscheidung bereue ich bis heute nicht. Nicht einmal während der Corona-Pandemie.

Wie sieht denn ein normaler Arbeitsalltag aus?
Wenn ich gerade keinen Job habe, lese ich viel, gehe raus und arbeite an meinen eigenen freien Projekten. Wenn ich einen Job habe, dann geht die Arbeit eigentlich schon morgens im Bett los. Ich brainstorme meine Ideen, mache Notizen, und dann fange ich an, das umzusetzen.

Und was hat sich durch Corona bei dir verändert?
Es gibt natürlich weniger Jobs, weil die meisten Leute jetzt einfach weniger Geld haben. Wer geht jetzt das Risiko ein und engagiert einen Illustrator?
Außerdem hätte ich letztes Jahr vielleicht an der einen oder anderen Ausstellung oder Kunstmesse teilgenommen.
Im ersten Lockdown hat sich zum Beispiel ein ehemaliger Kunde aus den 90ern an mich erinnert. Er ist jetzt in einer leitenden Position, und ich bekam um Pfingsten herum den Auftrag, für seine Firma eine Weihnachtskarte zu gestalten. Das fand ich super, dass Leute, die das Geld haben, so einen Auftrag vorziehen, weil sie wissen, dass es den Künstlern eben jetzt schlechter geht. Was mir jetzt als Künstlerin unerwartet zugute kommt, ist, dass ich es gewöhnt bin, auch mit weniger Geld auszukommen. Mein Job ist nie sicher. Ich falle daher jetzt in kein tiefes Loch oder werde panisch. Ich war auch noch nie besonders reiselustig und habe als Einzelkämpferin auch keine Kollegen, die ich vermissen könnte. Ich komme ganz gut mit mir alleine klar.

Hast du denn Anträge auf staatliche Hilfe gestellt?
Vom Land Hessen habe ich letztes Jahr Corona-Soforthilfe bekommen. Dort konnte man seine beruflichen Fixkosten, die man in drei Monaten hat, angeben. Vor Kurzem habe ich außerdem spontan von #KopfhochKassel die Unterstützung für Soloselbstständige in Höhe von 2000 Euro erhalten. Das finde ich echt gut.

Gibt es noch etwas was du dir von der Bundesregierung für die Kulturszene wünschst?
Ich finde, was Corona angeht, wird da schon viel gemacht. Aber es gibt ein anderes Thema, das mich tierisch aufregt. Und zwar die Grundrente, die ja endlich eingeführt wurde.
Aber die, die wirklich ganz wenig haben, wie eben häufig Künstler, haben oft keinen Anspruch darauf. Die bekommst du nur, wenn du min. 30 Prozent des durchschnittlichen Nettogehaltes verdienst. Und das betrifft die allerwenigstens Künstler. Es ist mir ein Rätsel, wofür es dann diese Grundrente gibt. Die Idee ist super, aber leider schlecht umgesetzt.

Hast du noch einen Tipp für Leute, die beginnen, Kunst zu studieren?
Den Profs immer Löcher in den Bauch fragen, sich mit Kommilitonen vernetzen und gucken, was die so machen. Das kann einen zu etwas ganz Neuem inspirieren.
Am besten alle Kurse belegen, die man nur belegen kann. Dann lernt man viele unterschiedliche Techniken, und was einem nicht liegt, kann man immer noch fallen lassen.

Ulrike Vaters Webseite