
Foto: A. Scheibli
Von Alida Scheibli
Der Tänzer, Choreograf und Ballettdirektor Terrance Ho Sin Hang (Jg.1951) leitet seit 1999 die Ballettschule Ho in Kassel und arbeitet zudem am Kasseler Staatstheater. Der gebürtige Chinese wurde 1976 von der Kritik zum besten Nachwuchstänzer des Jahres gekürt und eroberte in den 70er Jahren als Solotänzer die Bühnen Europas. Ho spricht mit uns über die Arbeit eines Choreografen und verrät uns, worauf es seiner Meinung nach wirklich ankommt.
Du choreografierst neben deinem Beruf als Tänzer und Ballettdirektor auch selbst. Wie kann ich mir die Arbeitsschritte – von der Erstellung eines Plans bis hin zur Umsetzung – vorstellen?
Es kann mit der Arbeit eines Malers verglichen werden. Zu Beginn habe ich eine leere Leinwand. Dann fange ich an, das Thema zu malen und schaue, wie es sich weiterentwickelt. Zum Choreografieren gibt es zwei Möglichkeiten: Die eine ist, dass ich mir zuerst die Musik aussuche und mir dann dazu ein Thema oder eine Geschichte ausdenke. Dies geht aber auch umgekehrt. Allerdings kann man es sich auch etwas bequemer machen, indem man ein klassisches Repertoire erschafft, wie zum Beispiel das Ballett Giselle, welches die Geschichte eines Bauernmädchens erzählt, das sich ahnungslos in einen Herzog verliebt, in seiner Liebe verraten wird, dem Wahnsinn verfällt und stirbt. Auch das berühmte Märchen Schwanensee zum Repertoire gehören. Da habe ich nämlich schon sowohl die Geschichte als auch die Musik und Kostüme. Zudem sind die Tanzschritte schon gegeben. Diese kann ich aber nach eigenem Belieben hier und da noch verändern. Wie beim Kochen sind die Grundelemente schon da, ich muss sie nur noch kombinieren und verfeinern.
Einige, die nicht richtig choreografieren können, machen das gerne auf diese Weise. Durch all diese leicht zugänglichen Informationen neigen manche Choreografen allerdings dazu, zu kopieren. Das soll keinesfalls heißen, dass diese Kollegen faul sind.Die Methode, so zu choreografieren, ist lediglich einfacher.
Woher nimmst du den Input für deine Choreografien?
Heute ist es durch das Internet recht leicht, Companies, also Tänzer und Tänzerinnen und Informationen für Choreografien zu finden. Das war früher anders. Damals habe ich zum Beispiel an einer argentinischen Tangogeschichte gearbeitet und brauchte dafür Material, um mich in die Geschichte hineinzuversetzen. Zum Glück hatte ich eine Tänzerin, die aus Argentinien stammte. Sie hat mir aus dem Sommerurlaub Material aus diesem Land mitgebracht. Somit konnte ich das Thema für meine Choreografie besser nachvollziehen, obwohl es viel Arbeit gewesen ist. Mittlerweile gibt man bei Google „Argentinischer Tango“ ein und schon hat man Informationen dazu. Ob das besser ist als damals, weiß ich nicht.
Ich kann mir vorstellen, dass die Leute die Arbeit der Choreografie durch die Vereinfachung heute nicht mehr so ernst nehmen und dass der Inhalt der Stücke durch die vielen Informationen im Internet nicht mehr richtig zu begreifen ist.
Würdest du also sagen, dass die Qualität der Stücke darunter leidet, wenn man nicht mehr so kleinschrittig arbeitet?
Das halte ich für möglich, ja. Durch das Internet erhält man sehr viele Eindrücke, von denen man aber gar nicht weiß, wie gut sich jeweils damit beschäftigt wurde. Außerdem ist es schwierig, aus hunderttausend Sachen von anderen Leuten eine eigene zu erschaffen. Man muss da echt aufpassen, da man später eventuell nicht mehr entscheidet, was wirklich wichtig ist. Ich sage immer, für mich ist jemand ein Choreograf, wenn ich dessen Handschrift sehen kann. Mit Handschrift meine ich, dass es typische Bewegungen für einen Choreografen gibt, anhand ich dessen Arbeit erkennen kann. Das ist allerdings gar nicht mal so einfach.
Könntest du dennoch deine eigene Handschrift beschreiben?
Ich entwerfe gerne neoklassisches Ballett, also eine Kombination aus modernem und klassischem Tanz. Modern Dance hat viele Möglichkeiten, genauso wie die Klassik. Ich sage immer, wenn gute Sachen zusammenkommen, entstehen noch Interessantere. Ich habe in meinem Leben sehr selten nur das eine gemacht. Im Tanzbereich sagen wir immer, dass Ballett, wenn es um die Technik geht, die Königsdisziplin ist. Die Bewegungen im Modern Dance drücken aber sehr viel Körpersprache aus. Das ist das, was mir in der Klassik, gerade wenn es um das Geschichtenerzählen geht, fehlt. Es ist schön, wenn Körpersprache mit einfließt, weil das die Sachen in meinen Augen viel interessanter macht.
Choreografen sind also nicht nur für die Erstellung von Tanzschritten zuständig, sondern auch für die Organisation der Kostüme und Musik?
Es gibt einen Bühnenbildner, einen Kostümbildner und einen Beleuchtungsmeister, die mit dir als Choreografen zusammenarbeiten. Es ist auf jeden Fall von Vorteil, wenn man selbst ebenfalls Ahnung davon hat, was gut und was schlecht ist. Ich persönlich bin immer gerne dabei, wenn es darum geht, den Stoff für die Kostüme auszusuchen. Ich achte dann vor allem darauf, dass sich die Tänzerinnen und Tänzer damit bewegen können, da mancher Stoff einfach zu schwer oder zu leicht ist. Wenn man nämlich ein schlechtes Kostüm hat, zerstört das die ganzen Bewegungen. Bei der Beleuchtung ist es exakt dasselbe. Ich sollte etwas Kenntnis darüber haben, sodass ich in der Beleuchtungsprobe sagen kann, wie ich das Licht in bestimmten Situationen gerne haben möchte.
Was ist dein Fazit?
Mein Fazit ist immer: Jeder kann machen, was er will. Wichtig ist, dass es gut ist. Manchmal kann es nämlich passieren, dass das Programm des Stücks, das im Publikum auf den Plätzen liegt, gar nicht mit der Darbietung des Stücks auf der Bühne übereinstimmt. Dann erlaube ich mir zu sagen, dass dies kein Choreograf gemacht hat. Ein Choreograf muss auf der Bühne etwas erzählen können. Tanzen ist nicht nur Bewegung. Du musst erzählen, was du da machst, indem du deinen Körper zur Erzählung benutzt. Bewegen kann jeder, aber tanzen nicht. Es gibt viele Leute, die sich wirklich wunderschön bewegen können, aber wenn man nichts dabei vermittelt, ist es kein Tanz. Man muss dem Publikum etwas bieten, schließlich hat es für die Aufführung bezahlt. Du brauchst dafür Konzentration, Kondition und auch künstlerisches Talent. Alles muss stimmen, das macht einen guten Künstler aus.
Website: www.ballettschule-ho.de