Von Hanna Rebmann
Es ist der 20. Dezember 2021, Weihnachten steht vor der Tür und ich treffe mich mit der facettenreichen Künstlerin Julia Dernbach (Jg. 1976) in einem indischen Restaurant am Wilhelmshöher Bahnhof in Kassel. Sie ist Schauspielerin, Sprecherin, Sängerin und Schriftstellerin, die auch illustriert und tanzt. Da stellt sich mir die Frage: Was kann sie eigentlich nicht? Gemeinsam sprechen wir über ihre vielen Talente und was sich seit ihrem letzten Interview vor zehn Jahren mit einer Studentin der Universität Kassel in ihrem Leben verändert hat.
Was machst du lieber: schauspielern oder sprechen?
Das Eine ist das Andere. Ich brauche das Sprechen ja, um zu schauspielern oder beim Synchronsprechen das Spielen. Obwohl ich reines Sprech-Theater in der Tat ziemlich langweilig finde. Während meiner Ausbildung sahen wir uns einige Stücke von Tschechow an und bei einem gab es so viel Text, dass mir irgendwann einfach die Augen zugefallen sind. Das war mir so peinlich. Dass ich im Theater eingeschlafen bin, obwohl das doch mein angestrebter Beruf war.
Also kommt es bei dir auf das Projekt an, was du lieber machst?
Nee, eher ob ich zum Beispiel beim Sprechen etwas alleine in meiner Tonkabine aufnehme, oder ob ich es zusammen mit anderen Menschen im Tonstudio SPIELE. Die Interaktion mit Menschen bringt mir Freude. Wenn ich das alleine mache und ich auch noch einen eher trockenen Text einsprechen muss, dann ist das meine Arbeit und fertig. Es geht dabei nicht um die Kunst. Ein Sprecherkollege meinte mal, als ich 2009 in die Sprecherei einstieg, dass ich bei solchen Fachprojekten meinen künstlerischen Anspruch vergessen muss. Es sein viel mehr ein Blow-Job, über den man am Ende die Rechnung schreibt.
Wie sieht es denn mit Synchronsprechen aus?
Da einzutauchen, genau das habe ich mir für die nächsten Jahre vorgenommen; dazu habe ich große Lust. Für einige Animationsfilme habe ich das schon gemacht, wobei es ja einen Unterschied gibt zwischen Synchron und Lippensynchron im Synchronstudio.
Beim Sprechen hast du ja kein Publikum vor dir. Wie fühlt sich das an?
Das ist für mich Normalität geworden; ich stelle mir das Publikum einfach vor. Aber Applaus und direkte Ansprechpartner sind natürlich nicht vergleichbar.
In deinem letzten Interview für die Uni Kassel meintest du, dass du nicht für Anerkennung schauspielerst, sondern, weil du auf der Bühne stehen willst oder sogar musst, um dich zu verwirklichen.
Ja, das ist das, was ich dachte. Letztendlich, wer will keine Anerkennung?! Wer mag keinen Applaus?! Obwohl, nein, man muss es tatsächlich auch lernen, Applaus auszuhalten und toll zu finden, genau wie das Lampenfieber. In der Corona-Zeit hatte ich mir schon überlegt, einen Button mit Applaus irgendwo einzubauen, der angeht, wenn ich aus der Tonkabine komme (lacht). Es gibt aber trotzdem nicht DEN EINEN Grund, weswegen ich das mache, also auf der Bühne stehe. Es bedeutet Freiheit für mich.
Du illustrierst auch. Wie bist du dazu gekommen, dein Hobby zum Beruf zu machen?
Hobby…? Ich finde das schwer einzuordnen. Was kennzeichnet Hobby, was Beruf? Für mich ist nicht entscheidend, womit ich meine Brötchen verdiene, sondern was ich gerne mache und was ich dazu benutzen kann, um das auszudrücken, was ich ausdrücken möchte. Wenn ich ehrenamtlich spreche für ein Projekt, bei dem es zum Beispiel um Schutz von Kindern oder Geflüchteten geht, ist das nicht plötzlich mein Hobby, nur weil ich kein Geld damit verdiene. Deswegen lasse ich mich aber bei anderen Projekten, von großen Firmen, die genug Geld haben, auch nicht im Preis drücken. Damit ich eben bei Projekten, die tolle Werte vermitteln, wo ich dahinterstehen kann, sagen kann, ich mache das auch mal für umme oder „für die Kunst“, aber ich möchte das nicht MÜSSEN.
Du hast im Jahr 2003/04 dein Buch „Die Komplimentemacherin“ geschrieben. Hast du vor, noch mehr Bücher zu schreiben?
Ich habe so viele fertige Geschichten und Bücher in der Schublade, die vielleicht noch mal lektoriert werden müssen. Es ist einfach sauschwer, einen klassischen Verlag zu finden. Man kann sich davon natürlich unterkriegen lassen und denken, dass einen keiner will, oder man nicht gut genug ist; andererseits haben Kafka oder van Gogh fast zeitlebens auch nur Ablehnungen erfahren. Nicht, dass ich mich jetzt mit denen vergleichen will (lacht), aber es macht einem Mut zu sehen, dass es vielen wohl so geht.
Könntest du dir auch vorstellen, Liedtexte zu schreiben oder hast du vielleicht sogar schon welche geschrieben?
Liedtexte… Hm, nee. Ich schreibe immer mal wieder Gedichte. Natürlich kann man die auch vertonen. Ach da fällt mir ein, so etwas habe ich schon gemacht. Es ging um die Eröffnung einer Ausstellung in einem Museum. Da sollte ich mit einem Musiker zusammen das Eröffnungsprogramm gestalten und dafür haben wir die Bilder vertont. Wir kamen in den Genuss, uns vorab die Bilder anschauen zu können und zu sehen, was das mit uns macht. Ich habe dann Gedichte dazu geschrieben und mein Kollege hat die Musik beigesteuert. Plötzlich war aus dem Nichts ein Lied entstanden, oder sogar mehrere und dann checkt man erst, wie das alles zusammengehört und sich kombinieren lässt, die verschiedenen Ausdrucksmöglichkeiten: Bilder vertonen, Text choreografieren, Musik malen und so weiter. Deswegen würde ich nachträglich auch so gerne noch mal tiefer in die Techniken eintauchen und mir handwerkliche Mittel aneignen. Ob das Schreibstile sind oder Siebdruck, es lässt sich alles verbinden.
Was hat sich bei dir beruflich durch Corona verändert?
Außer, dass ich nicht auf der Bühne stehen konnte? Naja, ich habe gemerkt, dass der Aufwand, den sich viele Künstler und auch Theater machen, um den Regelungen gerecht zu werden, immens ins Geld geht und sie trotzdem anschließend gesagt bekommen: „Dürft ihr doch nicht“. Wir Künstler sind wohl nicht systemrelevant. Da fragt man sich schon, ob es sich überhaupt lohnt, etwas auf die Beine zu stellen. Ich dachte mir, dass ich dann eben weiter an meinem Hörspiel arbeite oder hier mal mitmache oder da. Einfach offenbleiben und annehmen, was kommt. In 2021 hatte ich wahnsinnig Glück und es machte auf einmal Klick und dann lief es wie geschnitten Brot. Ganz im Gegenteil zu 2020, hatte ich wirklich ein gutes 2021.
Zu guter Letzt: Welchen Ratschlag würdest du allen aufstrebenden Künstlern geben?
Ratschläge sind auch Schläge (lacht). Grundsätzlich ist es wichtig, Vertrauen zu haben und dranzubleiben. Aber auch loslassen zu können von Vorstellungen, die wir so mit uns tragen, vor allem der Vorstellung sich immer zwischen dem einen oder dem anderen entscheiden zu müssen, und wie etwas zu sein hat, denn das nimmt uns viele schöne Möglichkeiten.