Der Autor Alejandro Tilán, 48, verheiratet, und Vater von zwei Kindern, geboren in der Kleinstadt Khorramshahr im Süden Irans, wohnt seit 1993 in Kassel. Er verdient sich seinen Lebensunterhalt neben seiner Tätigkeit als Schriftsteller, als Tanzlehrer und gelegentlich als Taxifahrer. Im Interview spricht er sowohl über seine bewegte Vergangenheit als auch über sein literarisches Schaffen.
Von Paul Marohn
Warum mussten Sie im Alter von 22 Jahren ihre Heimat verlassen?
Ich habe den Iran aus politischen Gründen verlassen müssen. Ich war in einer marxistischen Organisation aktiv, und war deswegen mehrere Male im Gefängnis. Als ich nach meiner letzten Haft rausgekommen bin, musste ich mich entscheiden, ob ich so weitermachen will wie bisher, oder etwas ändere. Ich hatte die Wahl entweder ein weiteres Mal im Gefängnis zu landen und dann nicht mehr rauszukommen bzw. gefoltert oder gar hingerichtet zu werden oder meine Haut zu retten. Wie Sie vielleicht in meinem Romanauszug gelesen haben, ging es damals um meinen inneren Konflikt, entweder dableiben oder weggehen.
Das heißt also, dass Ihre Person und die Romanfigur des Maxim, in dem Roman Entscheidung an der Grenze deckungsgleich sind (da auch Maxim, 22, aus Angst vor politischer Verfolgung sein Heimatland den Iran verlassen will)?
Im Prinzip ja. Meine Geschichte wird nicht eins zu eins übernommen, ein bisschen Fiktion ist schon mit dabei, aber zu ca. 85 Prozent ist es meine eigene Geschichte. Es ist allerdings auch zu einem gewissen Teil die Geschichte anderer Flüchtlinge, die ähnliches erlebt haben und das habe ich versucht in diesem Buch zusammenzubringen.
Wie lange leben Sie schon in Deutschland bzw. in Kassel und warum haben Sie sich für diesen Ort entschieden?
Ich bin seit über 26 Jahren in Deutschland. Über die Länder Türkei, Bulgarien und Rumänien bin ich dann nach Ostberlin gekommen. Dort wurden Flüchtlinge aus verschiedenen Ländern versammelt, in Busse verfrachtet und nach Westberlin gefahren. Als ich dort ankam, hatte ich einerseits keine finanziellen Mittel mehr weiterzureisen. Andererseits fühlte ich mich auch erst in Deutschland sicher. Nach Kassel bin ich dann gezogen, als ich in Arolsen die Chance bekommen hatte, eine weiterführende Schule zu besuchen und da ich studieren wollte, sah ich das als eine gute Gelegenheit. Außerdem lebte damals meine Freundin hier.
Sie haben jetzt die Chance, Werbung für sich zu machen. Warum sollte man Ihre Bücher, wenn sie verlegt werden, kaufen?
Die Bücher, die ich schreibe, handeln einerseits von Flüchtlingen, von Immigranten, die versuchen, sich in ihrem neuen Leben zurechtzufinden, bzw. ihr altes Leben zu verarbeiten. Andererseits geht es mir auch darum, Themen, vor allem im Bezug auf den Iran, über die wenig in die Öffentlichkeit dringt, auszusprechen. Der Informationsfluss wird dort nämlich sehr stark gefiltert. Von daher ist es mir wichtig, diese Dinge auf Papier zu bringen.
Die Frage an sich ist nicht leicht zu beantworten, denn wenn ich schreibe, geht es mir vor allem darum, meine Gedanken festzuhalten. Die Frage, warum jemand das lesen sollte, die kommt erst ziemlich weit hinten.
Es geht Ihnen demnach vor allem darum, sich selbst auszudrücken, und gewisse Dinge auszusprechen?
Ja, denn es gibt eben bestimmte Themen die nicht ausgesprochen werden, z.B. das Thema Ehrenmord. Ehrenmorde finden auch im Iran statt, sind allerdings im Alltag tabuisiert und ich finde, dass jeder ein Recht darauf hat, mehr über dieses Thema zu erfahren, besonders die Frauen, die im Iran nicht das recht haben, sich selbst zu artikulieren.
Was inspiriert Sie, abgesehen von Ihrer Vergangenheit, beim Schreiben?
Wenn ich schreibe, gehe ich meistens ins Café. Dort ziehe ich allein aus der Umgebung Inspiration. Der Prozess abgelenkt zu werden und das erneute Fokussieren auf das Schreiben hilft mir durch die ständige Reflexion über das was geschrieben wurde genauso wie das Beobachten der Menschen in verschieden Situationen.
Sie besitzen mit 48 eine gewisse Lebenserfahrung. Was würden Sie in Ihrem bisherigen Leben als Ihren größten Erfolg bezeichnen?
Für mich persönlich gibt es keinen einzelnen größten Erfolg. Es sind vielmehr einzelne kleine Erfolge, die wichtig sind im Leben. Die Flucht aus dem Iran und Ihr neues Leben in Deutschland würden Sie nicht als einen Erfolg bezeichnen?
Nein, nicht als Erfolg, sondern eher als Glück. Ich hatte Glück hier aufgenommen zu werden. Viele andere haben das auch versucht, doch sie hatten nicht soviel Glück wie ich. Es sind die kleinen Schritte, die mich geformt haben, einen einzelnen größten Erfolg kann ich nicht auf ein einzelnes Momentum fixieren.
Vielen Dank für das Gespräch.