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Von Flora Lou Matilde Saß
Mia Morgan, geboren 1994, will in Erinnerung bleiben. Zu diesem Zweck macht die gebürtige Kasselerin Selfies und schreibt eigene Texte, wie „Jungs/Männer, mit denen ich Sex/Nichts hatte“. In Letzterem berichtet sie ausführlich von ihrem Sexleben und man könnte sich nun an Charlotte Roches „Feuchtgebiete“ erinnert fühlen. Doch Mia Morgan will es besser machen, veranstaltet seit 2017 Lesungen mit ihrem Text und betrachtet dies als Aufklärungsarbeit. Ich habe sie gefragt, warum.
In deinem Text schreibst du von sehr intimen Erlebnissen, schließlich geht es um Sexualität. Warum gerade das Thema?
Schon immer habe ich über Themen geschrieben, die mich beschäftigen und Sexualität gehört nun mal dazu. Allerdings auch erst, seitdem ich mit 19 Jahren kapiert habe, dass man sich wirklich mit Jungs treffen, Sex haben oder masturbieren kann. Zuvor kannte ich das Thema nur aus Filmen und Serien wie „Gossip Girl“. Nach meinem ersten Kuss ging dann aber alles ganz schnell, als Spätzünderin hat man eben viel aufzuholen (lacht).
Was war für dich das Wichtigste beim Vorlesen deines Textes?
Als Jugendliche war ich ein anderer Mensch. Ich habe eine Version meiner selbst ausprobiert, wie man eine Jacke anprobiert, die einem aber zu groß ist. Weil die Erinnerungen daran mich immer wieder negativ beschäftigt haben, begann ich, alles aufzuschreiben und jede Begegnung zu einem Kapitel zu machen, hinter das ich einen Punkt setzen kann – im wahrsten Sinne des Wortes. Aus diesem Grund kann und will ich jetzt damit an die Öffentlichkeit: damit nicht nur andere, sondern vor allen Dingen ich selber feststellen kann, dass ich mich verändert habe. Somit geht es mir eben doch nicht nur um die Aufmerksamkeit, sondern das Schreiben und anschließende Vorlesen hat auch einen therapeutischen Anteil.
Wärst du gerne berühmt? Wenn ja, warum?
Ja, aber warum, weiß ich auch nicht so genau. Als Kind wollte ich immer Sängerin werden; Popstar und weltberühmt. Tatsächlich habe ich ein ziemlich großes Geltungsbedürfnis, was ich lange Zeit als einen schlechten Zug empfunden habe. Es ist aber etwas, das mich antreibt und motiviert, weiter an meinen Sachen zu arbeiten. Ich wäre eben gerne für etwas bekannt, was ich gut kann.
Schreibst du auch über andere Dinge?
Ich habe den großen Traum, eines Tages einen Roman zu schreiben, weil ich das als sehr viel schwieriger empfinde, als autobiografisch inspirierte Texte. Und das heißt wiederum: wenn ich irgendwann mal einen Roman schreibe, der die Leute interessiert – dann habe ich es echt geschafft! Ein zeitliches Limit habe ich mir allerdings nicht gesetzt. Mein ursprüngliches Ziel war es, eine gefeierte Jungautorin zu werden, aber dafür bin ich mit 23 Jahren schon zu alt.
Kommt es vor, dass du dich auf der Bühne für deine Texte schämst?
Die Antwort ist ein klares „Jein“. Als meine Mutter zugesehen hat, war mir das natürlich unangenehm, aber wahrscheinlich ginge es jedem mit seinen Eltern so. Dass ich so offen über das Thema Sex spreche, irritiert sie, aber sie sieht auch, dass andere davon profitieren können und dass das Thema ankommt.
Und wie sieht es mit negativer Resonanz oder Kritik aus? Wie gehst du damit um?
Es kränkt mich schon, aber solange man mir keine Tomate an den Kopf schmeißt, muss ich es akzeptieren. Allerdings finde ich, dass Menschen, die nicht offen mit dem Thema Sex umgehen können, ein Problem haben. Ich glaube, die sind mit sich selbst nicht im Reinen und dass sie sich öffnen sollten um zu merken, dass es ihnen damit besser geht. Wenn sich stattdessen jemand völlig aus dem Kontext darüber beschwert, dass ich „ficken“ sage, ist das für mich keine konstruktive Kritik und ärgert mich schon. Weil sich derjenige nicht mit mir auseinandergesetzt hat und meine Arbeit auch nicht verstehen will.
Ich will sie verstehen! Wie oder was ist denn deine Arbeit?
Realistisch! Ich schreibe so über Sex und sexuelle Erfahrung, wie ich es wirklich empfunden habe. Das hat auch einen aufklärenden Charakter, finde ich. Dieser Teilaspekt ist allerdings nicht auf Kinder zu beziehen; ihnen würde ich von der Sache als etwas weniger Trauriges erzählen. Außerdem wird in meinen Texten auch ein bisschen mit der Komik von Sex gespielt: In der Literatur gibt es momentan einen krassen Anstieg der Popularität von Erotika, besonders von BDSM wegen „Fifty Shades of Grey“. Nirgends wird dort aber von irgendwelchen komischen Geräuschen oder Verschnaufpausen gesprochen, von Pannen oder von den Gefühlen, die man gerade als junges, verunsichertes Mädchen beim Akt haben kann. Das hat mich irgendwie schon immer gestört. Bei Charlotte Roches wiederum habe ich das Gefühl, sie würde nicht wirklich über Sex und Sexualität sprechen, sondern hauptsächlich provozieren und Ekel hervorrufen wollen. Dazu nutzt sie das Tabu-Thema Sex und eine vulgäre Sprache. Ich schreibe zwar auch recht vulgär, aber so rede ich nun mal in echt, wenn ich mit meinen Freunden zusammen bin. Zum Beispiel kann ich das Wort „Glied“ einfach nicht leiden und sage dann eher „Schwanz“. Außerdem bringt es Spaß, solche Begriffe als Stilmittel zu nutzen und damit zu spielen: die Kombination aus einem etwas gehobeneren Schreibstil mit verschachtelten Sätzen und teilweise altmodischen Satzstellungen im Kontrast zu diesen vulgären Ausdrücken – ein bisschen wie Rammstein Akustik!
Was hältst du von Pornos?
Pornografie an sich finde ich gut, aber was im Mainstream-Porno passiert finde ich widerlich. Die Videos, die wir auf bekannten Plattformen wie Pornhub gezeigt bekommen, sind keine Videos von Menschen, die Sex miteinander haben. Das sind Videos von Schauspielern, die Frauen penetrieren; die Männer sind meistens überhaupt nicht zu sehen – ich denke, als Mensch mit ein bisschen Ahnung von Feminismus, findet man keinen Zugang dazu. Ansonsten muss auch mehr Ausklärungsarbeit betrieben und darüber gesprochen werden, dass es nicht echt ist, was man da sieht – ähnlich wie bei Horrorfilmen. Damit klar wird: das ist Fiktion und eine sehr skurrile Art von Kunst.
Was siehst du in dir selbst?
Kreatives künstlerisches Potenzial. Das Potenzial, Leute zum Lachen zu bringen, was mir schon immer unheimlich wichtig gewesen ist. Aber gleichzeitig sehe ich auch einen zutiefst verunsicherten Menschen mit einem übermäßig großen Geltungsbedürfnis. Das steckt einfach irgendwie beides in mir drin.
Du machst sehr viele Selfies von dir, die du hochlädst. Warum?
Mir gefallen meine Bilder und ich finde, die passen in mein Profil. Manchmal will ich einfach nur zeigen, dass ich schön geschminkt, frisiert oder gekleidet bin. Ich will mich in die Sphäre schmettern und irgendwo haften bleiben. Ob bei dem Partner, der Familie, der Stadt, der ganzen Welt, oder einfach nur mit dem eigenen Namen, eingeritzt in einen Baum – jeder möchte irgendwie einen Eindruck hinterlassen. Und ich habe Fotos von mir und meine eigenen Texte schon immer als den besten Weg empfunden, um Spuren zu hinterlassen, um zu dokumentieren, wie es ist, wie’s war und wie’s weitergeht.
Wie geht es dir, wenn du Sachen im Internet postest?
Natürlich ist da ein Ungleichgewicht; 80% der Leute, die sich meine Sachen angucken, interessieren mich nicht. Wenn es dann eines Tages die falsche Person zu sehen bekommt und schlechte Konsequenzen folgen, bin ich halt gearscht. Aber es gibt immer einen Weg da raus, denke ich. Und meine Angst vor schlechten Folgen ist einfach nicht groß genug, um das Posten jetzt einzustellen.
Wie würdest du dich mit drei Worten beschreiben?
Crazy, sexy, cool! (lacht) Nein, Quatsch, keine Ahnung,… – Von Emotionen getrieben! Zählt das als drei Wörter? (grinst).