
Foto: Lars Becker
Rose-Marie Bohle (Jahrgang 1950) ist leidenschaftliche Künstlerin. Sie geht aber nicht nur mit dem Pinsel virtuos um, sondern auch mit Worten. Die studierte Soziologin ist Ghostwriterin, schreibt also für andere Menschen Reden. Wie sie dazu gekommen ist und wer zu ihrer Kundschaft gehört, erklärt sie im Interview.
Von Lars Becker
Frau Bohle, wer lässt sich überhaupt Reden schreiben?
Das ist ganz unterschiedlich. Ich hatte mal einen Kunden, der wollte seinem Sohn zur Konfirmation einfach sagen, wie sehr er ihn schätzt und mag. Ich sollte deshalb für ihn eine Rede anfertigen. Das kam mir zunächst ganz komisch vor. Ich habe ihm dann aber lange zugehört und die Rede geschrieben – mit großem Erfolg. Die Familienmitglieder wollten dann sogar, dass er auch zu einer Silberhochzeit eine Rede hält. Darum wurde er ein guter Kunde. Aber auch Künstler zu ihrer Ausstellungseröffnung, Menschen, die aus der Kirche ausgetreten sind und eine Trauerrede brauchen oder Bauunternehmer zu Gebäudeeinweihungen.
Um auf den Vater des Konfirmanden zurückzukommen: Der hat die Lorbeeren für ihre Rede geerntet. Führen Sie nicht ein Schattendasein?
Ich muss ja persönlich sowieso hinter der Rede zurücktreten. Es geht ja darum, dass dieser Mensch zu einem Publikum etwas sagt. Ich persönlich bin im Schatten, aber meine Rede ist ja vollkommen im Vordergrund. Deswegen würde ich gar nicht sagen, dass es ein Schattendasein ist.
Wie wird man eigentlich Ghostwriter?
In meinem Fall war es so, dass ich Referentin bei einer Dezernentin hier in Kassel war. Ich sage nicht welche, obwohl es ja klar ist, dass die politischen Menschen sich ihre Reden schreiben lassen. Ich habe also vor allem ihre Reden geschrieben und dabei gemerkt, dass ich Talent habe, dass ich das sehr gut hinbekommen habe, sowohl sachlich als auch von der Stimmung her. Sie hatte damit ziemlich viel Erfolg gehabt. Diese Dezernentin wurde dann aber abgewählt, und dann war ich den Job los, weil sich die politischen Funktionsträger ihre eigenen Leute mitbringen. Daraufhin habe ich das als selbstständige Redenschreiberin angeboten, neben meinen anderen Tätigkeiten als Freiberuflerin.
Ich stelle mir das schwer vor, sich damit über Wasser zu halten.
Ich habe das nie hauptberuflich machen müssen, deswegen ist das schwer zu beantworten. Ich habe immer noch andere Sachen parallel dazu gemacht. Ich glaube, wenn man das so intensiv betreibt, wie ich das gemacht habe – das war auch immer sehr zeitaufwendig – ist das schwierig, wenn man nicht einfach Schablonen abliefern will.
Aber man kann schon sagen, dass das ihr Traumjob ist?
Als Referentin war es größtenteils ein Traumjob, ja. Da kommen natürlich auch Sachen dazu, die ich nicht so gerne gemacht habe. Als Selbstständige aber auf jeden Fall. Zumal ich mir aussuchen kann, was ich annehme und was ich nicht annehme. Eigentlich habe ich aber fast alles akzeptiert, weil es immer eine Herausforderung ist, mich auf den verschiedenen Themengebieten zu bewegen.
Über welche Themen schreiben Sie am liebsten?
Über Kunst, weil ich selbst auch Kunst mache und es total spannend ist, die jeweiligen Künstler oder Künstlerinnen zu interviewen. Und ich fand es zum Beispiel total faszinierend, für einen Unternehmer zu schreiben, der einen Empfang auf der Messe eines Prinzen hatte. Da musste ich mich erst einmal einarbeiten, wie man solche Leute überhaupt anredet und den richtigen Ton findet.
Ist das eine Tätigkeit, die Sie beispielsweise einem Germanistikstudenten nach dem Abschluss empfehlen würden? Vielleicht auch freiberuflich?
Also ich glaube in erster Linie nicht, dass das etwas mit Germanistik zu tun hat. Sondern mit der Fähigkeit sich in ein Thema einzuarbeiten, aber auch durch eine Art Intuition die Situation zu erfassen, in der diese Rede gehalten werden muss. Wer wirklich Ghostwriting macht und die Rede nicht selbst hält, muss das Temperament des Redners oder der Rednerin erfassen. Man muss wissen, zu welcher Tageszeit die Rede gehalten wird und wer eigentlich zuhört. Aber vor allem eben das Temperament zu erfassen: Wie könnte er das sagen, damit es auch authentisch wird. Das ist eine Fähigkeit, bei der ich gucken muss, ob ich die entwickeln kann. Ich habe schon so viele schlechte Reden gehört, die einfach nur herunter gespult worden. Da holen Sie das Publikum einfach nicht ab. Das kann man sich dann auch schenken.
Wie sieht denn ihrer Meinung nach eine gute Rede aus?
Der erste Satz ist der wichtigste. Immer wenn ich Reden höre, schaue ich: Was ist der erste Satz? Wenn Sie damit das Publikum packen, können sie fast alles sagen. Das kann provokativ sein, das kann eine sehr ungewöhnliche Begrüßung sein. Dann muss es eine Dramaturgie haben, einen Spannungsbogen. Also nicht alles auf einer gleichmäßigen Ebene. Dann wäre es gut, wenn der Schluss nochmal an den Anfang anknüpft, sodass die Leute im Publikum das Gefühl haben: Ich habe da eine runde Sache gehört. Ich habe nie studiert, wie man eine Rede macht, aber mit dieser Art und Weise immer Erfolg gehabt. Dann ist natürlich wichtig, wie man die Rede hält. Wenn ich hinter dem, was ich sage, stehe, habe ich ein anderes Temperament und eine andere Überzeugungskraft, als wenn ich es nur ablese. Bei Frau Merkel etwa sehe ich leider die Unterschiede deutlich, wenn sie selber etwas sagt und wenn sie ihre Reden einfach nur abliest. Damit erreicht man die Menschen nicht. Man muss sich außerdem die Zeit und den Raum nehmen. Ich finde wahnsinnig wichtig, dass man langsam redet und Pausen macht. Das Wie ist sehr wichtig, nicht nur das Was.
Gibt es eine Person des öffentlichen Lebens, bei der sie sagen: Der hat einen guten Redenschreiber oder ist selbst ein guter Redner?
Ja, die gibt es immer wieder. Wer wirklich gut reden konnte – er war natürlich auch ein bisschen eitel darüber – war der Gauck. Was ich sehr bewundere ist, wenn die Leute absolut frei reden, alles im Kopf haben. Ich kann das zum Beispiel nicht, weil ich meine Reden quasi komponiere und da muss jedes Wort an der richtigen Stelle sein.