„Ich wollte schon immer Schauspielerin werden“ – Interview mit Sabine Wackernagel (SoSe 2016)

Sabine Wackernagel (links) mit der Interviewerin. Foto: Maria Dolores Jimenez Alcala

Sabine Wackernagel (links) mit der Interviewerin. Foto: Maria Dolores Jimenez Alcala

Von Maria Dolores Jimenez Alcala

An einem sonnigen Nachmittag treffe ich die Schauspielerin Sabine Wackernagel (Jg. 1947) in einem Kasseler Cafe. Sie gewährt mir einen Einblick in ihren Beruf als Schauspielerin. Sabine Wackernagel, die in Stuttgart geboren wurde, entstammt einer Künstlerfamilie. Die Tochter des Theaterintendanten Peter Wackernagel und der Schauspielerin Erika Wackernagel absolvierte eine Schauspielausbildung in München. Anschließend hatte sie eine langjährige Karrierelaufbahn mit festen Engagements in Tübingen, Freiburg und Kassel.

Frau Wackernagel, ich möchte mit Ihnen über Ihren Werdegang als Schauspielerin reden. Was war im Laufe Ihrer Karriere das schönste Ereignis?
Als ich noch ganz junge Schauspielerin war, habe ich mir sehnlichst gewünscht, die heilige Johanna der Schlachthöfe spielen zu dürfen. Es war die Rolle eines bürgerlichen Mädchens mit konservativen Wertvorstellungen, das sich dann radikal wandelt und eine revolutionär denkende Frau wird. Diese Figur habe ich immer sehr bewundert. Es hat jedoch viele Jahre gedauert, bis ich diese Rolle bekommen habe und als es soweit war, war das für mich ein besonders glückliches Ereignis.

Sie entstammen einer Künstlerfamilie. Wollten Sie schon immer Schauspielerin werden oder war es eine gute Alternative auf die Sie jederzeit zurückgreifen konnten?
Ich wollte schon immer Schauspielerin werden. Schon als Kind, als ich noch mit meinen Eltern in Ulm gelebt habe, konnte ich mir nichts anderes vorstellen, als ans Theater zu gehen. Außerhalb der Schule habe ich sehr viel Zeit dort verbracht und habe meiner Mutter oft beim Spielen zugesehen. Mit 16 Jahren habe ich dann für kurze Zeit darüber nachgedacht Geschichte zu studieren, weil ich mich sehr dafür interessiert habe. Letzten Endes hat es mich jedoch ans Theater gezogen.

In Ihrer Biographie schreiben Sie, dass das Theater kein Ort zur Selbstverwirklichung war. Was genau meinen Sie damit?
Mit Selbstverwirklichung meine ich, dass ich meine Persönlichkeit erweitere, indem ich verborgene Anteile in meiner Psyche als Schauspielerin entwickeln und ausleben kann, die man im wirklichen Leben nicht offenbart. Wenn man negative Seiten, die jeder von uns in sich trägt, auf der Bühne spielerisch bearbeiten kann, ist das für mich eine Form von Selbstverwirklichung. In meiner Biographie erwähne ich, dass diese Form von Selbstverwirklichung im Theater nicht möglich ist, weil man als Schauspielerin lediglich funktionieren muss. Man bekommt Rollen zugeteilt, die man nicht spielen möchte oder die einfach nicht in ein Konzept von Selbstverwirklichung hineinpassen. Es geht auf der Bühne letzten Endes ja nicht um mich und meine persönlichen Bedürfnisse, sondern um die ideale Umsetzung des Stücks.

Inzwischen realisieren Sie eigene Lesungsprogramme, in denen Sie meist Dichterinnen und Dichter rezitieren. Nach welchen Kriterien stellen Sie die Programme zusammen?
Das Hauptkriterium ist für mich zuerst der Spaß an der Freude. Ich liebe gute Literatur und Sprache und ich finde es schön, mich damit zu beschäftigen. Bei meinen Programmen ist es mir außerdem besonders wichtig, mit den Originaltexten zu arbeiten, weil mich die Sprache sehr fasziniert. Ich spreche jetzt auch Monologe, bei denen ich nicht nur lese, sondern auch spiele. Dabei ist das wichtigste Kriterium, eine Frauenfigur zu finden, die ich gut verkörpern kann. In dem Fall war die Christiane Vulpius, die ideale Figur für mich.

Stellt das Rezitieren eine ähnliche Herausforderung dar wie das Theaterspielen?
Ja, auf jeden Fall. Ich finde sogar, dass es manchmal eine größere Herausforderung darstellt. Wenn ich beispielsweise mit der Rolle der Christiane Vulpius alleine eineinhalb Stunden auf der Bühne stehe, ist das für mich eine größere Anstrengung im Vergleich zu einer kleineren Rolle in einem schönen Stück. Zuletzt habe ich die Frau in „Der Tod eines Handlungsreisenden“ von Arthur Miller gespielt. Das war eine sehr schöne Rolle, die aber nicht in jeder Szene dran ist. In den Pausen konnte mich dann erholen und neu konzentrieren. Das ist natürlich etwas ganz Anderes als eineinhalb Stunden am Stück präsent zu sein.

Fühlen Sie sich damit denn ebenso erfüllt, wie auf der Theaterbühne?
Ja absolut. Wobei ich mich immer wieder darüber freue, wenn ich eine Rolle im Theater bekomme. Das ist natürlich ein Input für mich. Ich bin einfach ein Ensemblemensch, der gerne mit anderen zusammen spielt und das vermisse ich bei meinen Soloprogrammen natürlich sehr.

Was hat Sie dazu bewegt Ihre Biographie zu veröffentlichen?
Viele Gespräche mit Familie, Freunden und Bekannten, die schon seit vielen Jahren zu mir gesagt haben, dass ich meine Geschichten aufschreiben möge. Es hat dann aber wirklich eine lange Zeit gedauert, bis ich mich dazu entschlossen habe, es umzusetzen. Das ist nämlich leichter gesagt als getan. Der Hauptimpuls, der mich dann dazu bewegt hat war, es für meine Kinder zu tun. Ich möchte ihnen keinen Berg alter Briefe und Kritiken hinterlassen, die sich in all den Jahren angesammelt haben. Irgendwann merkt man, dass man das nicht alles aufheben kann und fängt an aufzuräumen. Dann war die Idee, das Wichtigste als Erinnerung in einem Buch zu vereinen, sehr schön.