„Kunst kann verborgene Perspektiven auf die Welt zeigen“
Interview mit Kunst- und Bildungsexpertin Susanne Hesse-Badibanga (WS 2021/2022)

Foto: N. Fiegenbaum

Von Nora Fiegenbaum

Susanne Hesse-Badibanga (Jg. 1963) leitet bei der dcocumenta fifteen den Bereich Bildung und Vermittlung. Sie studierte freie Kunst und leitete und konzipierte diverse interkulturelle Integrationsprojekte in Frankfurt am Main sowie das Vermittlungsprojekt „Schulstudio“ des Frankfurter Kunstvereins in Kooperation mit zahlreichen Schulen aus der Region. Sie ist freie Mitarbeiterin an der Kunsthalle Schirn in Frankfurt am Main. Darüber hinaus hat sie Lehraufträge an der Hochschule für Gestaltung Offenbach am Main und an der Frankfurter Johann Wolfgang Goethe-Universität inne. Ein Gespräch über Kunstvermittlung, documenta, Kunst und Künstler.

Wie bringt man Kunst auch einem kunstfernen Publikum näher?
Dafür gibt es bestimmte Strukturen, die wir versuchen so niedrigschwellig wie möglich zu gestalten. Dafür gibt es speziell ausgebildete Leute, die auch versuchen, niedrigschwellig zu sprechen, in einfacher Sprache oder einer Sprache, die alle verstehen. Man versucht also, keine Fachterminologie zu benutzen, sondern, die Leute einzubinden, ins Gespräch zu bringen. Es geht darum, ihre Perspektive und Wahrnehmung ernst zu nehmen. Es kommt an auf die Perspektive der Person und nicht auf eine übergestülpte theoretische kenntnisreiche Interpretation.

Was macht gute Kunstvermittlung aus?
Es ist wichtig, dass die Person sich bewusst ist, aus welcher Perspektive sie spricht: Aus ihrer eigenen, oder aus verschiedenen Perspektiven, die in der Kunst impliziert sind. Das zweite ist, dass die Betrachterinnen mit einbezogen werden und dass auch deren Perspektive ernst genommen wird. Inzwischen fällt der Kunstvermittlung ein sehr diverses und komplex diskutiertes, auch politisches, Feld zu. Bestimmte Hürden und Inhalte müssen berücksichtigt werden aus dem westlichen oder internationalen Kontext. Dazu zählen auch feministische Inhalte, soziale Kontexte und gendergerechte Kontexte. Und dann stellt sich die Frage, will man es in einen historischen Kontext einbetten, um das akademisch aufzubereiten. Oder ist man einfach in der Lage, von einem akademischen Diskursfeld abzuweichen.

Welchen Einfluss hat die Digitalisierung auf die Kunstvermittlung?
Also, wir sind noch lange nicht da, wo wir sein könnten. In der Kunstvermittlung wird sehr an einem kreativen analogen Verfahren festgehalten, wo es um das Sprechen miteinander und das Sprechen vor dem Werk und vor dem Original geht. Dass es auf einer digitalen Ebene stattfinden kann, ist lange nicht wirklich berücksichtigt worden. Es gibt nur sehr wenige Museen, die schon früh angefangen haben, sich damit zu beschäftigen. Mit Corona begann man verstärkt, digitale Führungen anzubieten über Instagram und Zoom.

Welche Art sozialer Funktion hat Kunst für Sie?
Für mich ist Kunst auch immer ein Modell von etwas, das radikal anders ist. Sie ist immer ein Anlass zu sprechen und miteinander in den Austausch zu kommen. Zentral geht es immer um das Werk oder die Bedeutung eines Werks oder einer künstlerischen Aktion.

Kunst wird auch als Medium, durch welches man etwas lernt, verstanden. Was haben Sie insbesondere von der Kunst gelernt?
Sehr stark meiner eigenen Wahrnehmung zu vertrauen, eigene Kriterien zu setzen, die dann auch zur Prämisse werden, mit bestimmten Dingen und Inhalten umzugehen. Dass die Kunst Inhalte oder verborgene Perspektiven auf die Welt sichtbar machen kann, an die man vorher überhaupt nicht gedacht hat. Perspektiven, die sich jenseits einer linearen und logischen Herleitung bewegen, also die verborgenen Sphären der menschlichen Wahrnehmung auf die Welt oder Verhältnisse zur Welt zeigen.

Welche spannenden Einblicke in die Arbeit des Künstlerkollektivs ruangrupa haben Sie gewinnen können?
Die Education arbeitet sehr eng mit ruangrupa zusammen. Sehr spannend zu sehen ist, dass die Zusammenarbeit einer ganz anderen Herangehensweise folgt, als das Gewohnte. Immer wieder gibt es Treffen und immer wieder Entscheidungsgremien. Es wird versucht, flache Hierarchien einzuhalten, dass man die Entscheidungen immer wieder im Kollektiv bespricht, um dann zu einer Entscheidung zu kommen. Diese Offenheit, Flexibilität erzeugt eine sehr tolle Dynamik, die ich auch für Bildungsprozesse sehr adaptierbar finde. Ich finde, da steckt viel Potenzial drin, von dem man lernen kann, anders miteinander umzugehen, miteinander zu arbeiten und vor allem, Dinge anzunehmen, die am Rand passieren, die man so erst mal gar nicht wahrnehmen würde, wenn man immer top-down-Entscheidungen fällt.

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