
Udo Wendland, Lutz, Silvia und Maren Freyer (v. li.). Foto: Hasper
Von Hannes Hasper
Der Kasseler Künstler Lutz Freyer (Jg.1960) hat mit seiner Frau Silvia und dem Unternehmer Udo Wendland das Hugenottenhaus „geheilt“, wie er es vor unserem Interview ausdrückt. Damit, mit der Kunstzone und der Perle Bar ist ein Ausstellungsprojekt entstanden, das zusammen mit anderen Künstlern immer wieder „mit und gegen das Haus arbeitet“.
Ich habe den Satz von dir gelesen: „Was als Gegensatz erscheint, bedeutet nichts weniger als unser individuelles Künstlersein mit der Mitwelt in Beziehung zu setzen.“ Was meinst du damit?
Für mich treffen zwei Strömungen aufeinander. Zum einen das Kollektiv, zum anderen das individuelle Sein. Es gibt Systeme, die das Individuelle einstampfen. In der Kunstwelt haben wir hingegen den Ansatz, das Schöpferische in jedem Einzelnen ernst zu nehmen. Das wiederum bringt uns in die Nähe von Menschen, die im Kollektiv denken, leben oder auch experimentieren.
Ist das auch die Motivation hinter dem Hugenottenhaus-Projekt?
Ja, ich meine wir sind Künstler! Wir finden Kunst systemrelevant und verstehen sie als Sehnsucht nach Menschlichkeit, nach einem gemeinschaftlichen Miteinander. Kunst ist die letzte verbliebene Insel, auf der wir die Möglichkeit haben, frei zu denken. Es sollen Visionen für eine menschlichere, diversere und friedlichere Zukunft entwickelt werden, sodass zum Beispiel die Liebe und die Spiritualität wieder eine Rolle spielen.
Was war der Hintergrund, gerade das Hugenottenhaus für euer Projekt zu erwerben?
Dazu gibt es eine längere Geschichte, die vor ungefähr sieben Jahren beginnt. Silvia und ich haben unseren alten Lehrer Fritz Schwegler besucht. Dieses Zusammentreffen nach fast 30 Jahren war so intensiv, dass wir die Vision hatten, ihn mit einer Ausstellung im Kasseler Fridericianum zu ehren. Dieses Vorhaben wurde irgendwann so groß, dass Udo, mit dem wir anfangs nur befreundet waren, anfing, uns finanziell zu unterstützen. Nach dem Projekt waren wir so begeistert, dass Silvia und Udo die Sammlung „neue enden“ mit Exponaten von bekannten und unbekannten Schwegler Schülern entwickelten. Für diese Sammlung haben wir ein Haus gesucht. Im Zuge dessen hat Udo in Form einer Gesellschaft und weiteren Investoren, das Hugenottenhaus erworben.
Was macht das Hugenottenhaus und das Hugenottenhaus-Projekt so besonders für dich?
Das Hugenottenhaus ist der Wahnsinn! Es ist ein Paradebeispiel für etwas, das andauernd übersehen wird. In unserer Gesellschaft geht es oftmals nur um Größe. So auch in Museen, wo durch immer mehr Millionen immer größere Ausstellungsräume entstehen und ich mich langsam frage, was das dann noch für einen Mehrwert hat. Das Hugenottenhaus zeigt nicht die Größe, auch wenn es viele Zimmer hat. Nein, es ist fragil, es ist verletzt. Wenn wir das auch in uns selbst sehen, kann das unser Herz öffnen und uns menschlich werden lassen. Dadurch, dass wir uns als Künstlerkuratoren verstehen und zusammen mit anderen Künstlern Projekte entwickeln, ist das die Besonderheit des Hugenottenhaus-Projektes.
Spielt dabei die Geschichte des Hauses eine Rolle für dich?
Die Geschichte des Hugenottenhauses interessiert uns brennend, wir verstehen uns allerdings nicht als eine Art Denkmalamt. Schon unsere erste Ausstellung mit dem Titel „Freie Zimmer“ lässt sich von der Historie oder der Bedeutung des Hauses nur schwer abkoppeln. Wir leben mit dem Haus, werden es in Zukunft aber auch sehr langsam verändern. Wir wollen alles andere als einen weiteren White Cube.
„Freie Zimmer“ war die erste Ausstellung im Hugenottenhaus. Welche Botschaft wolltet ihr damit vermitteln?
Es war Teil einer Trilogie. Freie Zimmer, bewegte Zimmer und Doppelzimmer. Speziell bei der ersten Ausstellung ging es darum, die Menschen daran zu erinnern, dass wir ein freies Land sind und das tun, was im Grundgesetz von uns erwartet wird, und zwar Menschen in Not zu helfen. Bei allen drei Projekten ging es nicht darum, einen White Cube zur Verfügung zu stellen. Stattdessen war unser Schwerpunkt die Wirkung von Kunst. Viele aus der Schwegler-Klasse hatten die Spezialität, raumbezogen zu arbeiten. Wir haben also probiert, immer mit dem Haus zu arbeiten und dadurch Projekte und Installationen zu realisieren, die aus Sicht der Künstler notwendig waren.
Eure Ausstellungen fanden auch während der Corona-Pandemie statt. Wie hast du als Kulturschaffender die Pandemie erlebt?
Mit oder ohne Corona lässt sich sagen, dass wir die letzten drei Jahre damit beschäftigt waren, das Hugenottenhaus-Projekt zu realisieren. Gerade fingen wir an, mehr und mehr als Kollektiv vor Ort zusammenzuarbeiten, da hat uns Corona einen Strich durch die Rechnung gemacht. Sehr belastet waren auch unsere Ausstellungen. Wir haben probiert, diesen Ausfall zu kompensieren durch Fotos, Videos etc. Aber das war natürlich auch ein riesiger Mehraufwand. Gerade Maren hat probiert, kleinere Konzerte und Lesungen stattfinden zu lassen. Da war die Kunstzone als eine Art Außenraum ein echter Glücksgriff.
Hast du dich während dieser Zeit, aber auch davor, genug unterstützt oder wertgeschätzt gefühlt?
Wir haben uns über jede Unterstützung gefreut und arbeiten mit dem Kulturamt gut zusammen. Jedoch ist die freie Szene eine unbezahlte. Wir müssen politisch endlich andere Anstrengungen unternehmen, da, wenn wir Gelder erhalten, die nicht tatsächlich bei uns landen, sondern z. B. in den Brandschutz investiert werden müssen. Eine solche Art von Förderung ist dann mehr Wirtschaft als Kulturförderung.
Im Dezember 2021 war die Künstlerin YiDahn zu Gast im Hugenottenhaus. Wie wird es weitergehen? Habt ihr aktuelle Projekte?
Ja, wir haben ein aktuelles Projekt. Wir sind aufgrund unserer Arbeit eingeladen, Partner der documenta fifteen zu sein. Das Projekt, das 2022 startet, heißt „Erste Hilfe: First Aid“. Dabei spielen wir mit der Frage: „Was kann Kunst für eine Hilfe leisten?“ Es wird eine Art Ausstellungsprojekt, wo die Perle Bar, das Hugenottenhaus und die Kunstzone auch wieder eine Rolle spielen werden.
Gibt es noch etwas, was du jungen Kunst- bzw. Kulturschaffenden mit auf dem Weg geben würdest?
Guck nicht zu früh auf das, was Galerien oder der Markt von dir verlangen, sondern erkunde dich so lange wie möglich selbst und nimm jede innere Regung ernst.