„Wir haben hier eine authentische Zeitkapsel geschaffen“
Interview mit Ralf Stadler von Randfilm e.V. (WS 2019/2020)

Foto: Nokielski

Von Dennis Nokielski

Ralf Stadler (Jg. 1974), Vorstandsmitglied von Randfilm e. V. erklärt, wie es sich anfühlt Kassels „Film-Shop“, die älteste Videothek der Welt und Videothekenmuseum, zu betreiben, wieso Super-8-Projektoren den 45-jährigen so faszinieren und warum sein Laden trotz Netflix und Co. heute noch viel zu bieten hat.

Wie fühlt es sich an, die älteste Videothek der Welt zu betreiben?
Es ist eine riesige Verantwortung und bei dem Gedanken schlottern mir manchmal die Knie. Ich bin auch lieber Kunde als Betreiber, durch die Arbeit im Laden wird der Genuss des Filmeausleihens etwas getrübt. Ich liebe es aber, von Filmen umgeben zu sein und ich bin wahnsinnig stolz, dass der Laden läuft. Alles in allem ist das ein tolles Gefühl.

Was hat dich und Randfilm dazu bewegt, den Film-Shop zu übernehmen?
Randfilm e. V. kümmert sich um alles, was sich am Rand des Kulturbetriebes abspielt. Als der Vorbesitzer sich zur Ruhe setzen wollte und der Videothek somit die Schließung drohte, wurde sie zum Randprojekt. Die Rettung war für uns ein ganz klarer Auftrag und eine Chance zugleich, da wir vorher keinen richtigen Vereinssitz hatten und der Film-Shop uns zusätzlich ein eigenes Betätigungsfeld bieten sollte.

Der Film-Shop ist also auch eine Bereicherung für Randfilm?
Ja, der Laden dient uns quasi als Vereinshauptquartier. Hier können wir eigene Veranstaltungen stattfinden lassen und haben diesbezüglich auch mehr Freiraum, da wir nicht mehr auf extra gemietete Räumlichkeiten angewiesen sind.

Wie ist euch die Übernahme gelungen, gab es Schwierigkeiten?
Wir wollten die Videothek ursprünglich mithilfe einer Crowdfundingkampagne retten. Wir haben einen deutschlandweiten Hilferuf gestartet und hofften so 29.000 Euro zusammenzukriegen. Das Geld war für eine Grundsanierung und Mietkosten gedacht, leider konnten wir die angestrebte Summe so nicht aufbringen.
Wir haben danach alle aus unseren privaten Vermögen zusammengelegt und von jetzt auf gleich einen Schichtbetrieb aufgestellt. Die Vereinsmitglieder stehen ehrenamtlich hinter’m Tresen. Wir haben eine GbR gegründet und halten die Sache seit 2017 so am Laufen. Mein Kollege Christoph Langguth und ich sind die Geschäftsführer.

Kommen viele Leute hierher?
Ich bin immer wieder überrascht, wie viele Kunden, auch Neukunden aus dem studentischen Bereich, herkommen. Wir bieten auch aktuelle Filme zum Verleih an, Nostalgie ist also nicht der einzige Faktor, der die Leute herlockt. Viele möchten hier aber auch in Ruhe ein Bier trinken, schauen sich Filmausschnitte und Trailer an und lassen die Atmosphäre auf sich wirken. Außerdem haben wir treue Stammkunden, die schon seit Jahrzehnten kommen.

Was ist für dich das Herzstück des Film-Shops?
Wir haben hier ein kleines Super-8 Museum eingerichtet, in dem man sich Geräte aus dieser Zeit ansehen kann. Wir bieten unsere Super-8-Projektoren und etwa 200 passende Filme auch zum Verleih an. Für mich stellt dies das Herzstück des Ladens dar, weil es noch mal genau zeigt, was es für eine tolle Sache sein kann, wenn man so einen alten Filmstreifen in die Hand nimmt. Man hat etwas Greifbares, muss den Film einlegen, die Geräte selber bedienen und pflegen, anstatt einfach schnell den Playbutton zu betätigen. Damit bekommt der Film einen ganz anderen Wert.

Pflegt ihr Partnerschaften und Kooperationen?
Ja, Zusammenarbeit ist oft das A & O für uns. Wir arbeiten beispielsweise mit der Tanzschule „Social Emotion“ zusammen, die regelmäßig Tanzperformances aufführt. Hinzu kommen viele Künstler, der Kunstverein und das Kulturamt Kassel, die uns in vielen Angelegenheiten unterstützen. Außerdem stellen wir unsere Räumlichkeiten auch anderen zur Verfügung.

Du hast erwähnt, dass ihr den Laden für eigene Veranstaltungen nutzen wolltet. Was stellt ihr hier so auf die Beine?
Wir veranstalten zweimal im Monat die Randfilmnights. Hier werden dann ausgesuchte Randfilme gezeigt, die im Gegensatz zum Mainstream-Kinofilm unbequemer anzusehen sind und unsere Zuschauer stärker zum Nachdenken anregen sollen. Das Ganze wird von einem kleinen Rahmenprogramm und Musik begleitet, in der Regel sind auch Regisseure zu Gast.

Glaubst du, dass ihr den Film-Shop auch über mehrere Jahrzehnte aufrechterhalten könnt?
Das hoffe ich doch! Wir werden natürlich unser Bestes geben, um das zu erreichen. Erst kürzlich haben wir den Mietvertrag um 20 Jahre verlängert. Wir möchten mehr kulturelle Veranstaltungen hier etablieren, um abseits vom Filmverleih eine wirtschaftliche Sicherheit für den Laden zu erzielen.

Was denkst du, bringt die Zukunft?
Die Zeiten für Videotheken sind momentan schwierig, ich denke aber, dass dieser Ort in fünf bis zehn Jahren stärker von öffentlichen Förderungen profitieren und somit auch stärker wahrgenommen werden kann. Die Videothek hat viel zu bieten, wir haben hier eine authentische Zeitkapsel geschaffen, die es wert ist geschützt zu werden. Unsere Filme werden nicht plötzlich vom Sortiment verschwinden und fallen auch nicht der Zensur zum Opfer, wie es bei Streaminganbietern oft der Fall ist. Außerdem läuft unsere Datenerfassung noch ganz altmodisch über eine Kundenkartei in Papierform ab. Diese Methode bietet eine gewisse Anonymität und unsere Kunden schätzen das sehr. In Bezug auf die Zukunft bin ich guter Dinge.

www.randfilm.de