„Wir schaffen einen Raum für Literatur“
Interview mit Helen MacCormac vom Literaturhaus Nordhessen, SoSe 2017

Foto: Laura Newport

Helen MacCormac, gebürtige Engländerin, studierte am King’s College London und an der FU Berlin Germanistik, bevor sie nach Kassel kam. Mittlerweile ist sie die zweite Vorsitzende vom Literaturhaus Nordhessen und mit ihrer Hilfe wurden verschiedene Literatur-Veranstaltungen in Kassel etabliert – unter anderem die offene Lesebühne. Jeden dritten Mittwoch im Monat können Autoren dort, egal ob Anfänger oder Profi, für jeweils zehn Minuten ihre Texte vor Publikum präsentieren. Helen MacCormac ist die 2. Vereinsvorsitzende.

Von Laura Newport

Was ist das Besondere an der Offenen Lesebühne?
Dieses Format ist, glaube ich, einzigartig in Kassel. Es ist kein Wettbewerb und es findet auch keine Diskussion über die Texte statt. Das ist uns total wichtig: dass es eine Plattform ist, wo man seine Texte vorlesen kann und man weiß, es wird keine „Show“ erwartet. Man liest die Texte vor einem wohlwollenden und schreib-begeisterten Publikum, das sehr positiv eingestellt ist. Das heißt, es verzeiht auch viel. Weder muss das Geschriebene besonders toll vorgetragen, noch absolut ausgefeilt sein. Die offene Lesebühne eignet sich also sehr schön dafür, wenn man sich ausprobieren will oder seine ersten Schreibversuche wagt – und dafür einen relativ geschützten Raum sucht.

Wie wurde das Angebot in Kassel angenommen?
2014 haben wir die offene Lesebühne das erste Mal ausprobiert und die Leute haben sich gleich angemeldet und wollten lesen. Alle die teilgenommen haben, haben sofort positives Feedback gegeben, da waren wir überrascht. Also habe ich gesagt, dass wir das regelmäßig machen sollten und mittlerweile veranstalten wir die Lesebühne seit 2015 einmal im Monat. Es ist ja auch irgendwie mutig, zu sagen, jeder kann sich anmelden und darf alles lesen. Aber wir wollten nicht, dass es immer die gleichen Leute sind, die lesen, sondern diese Vielfalt an Texten. Die Regel, dass jeder nur zehn Minuten vorlesen darf, halten wir ziemlich genau ein. Das war anfangs etwas schwierig, da manche Leute es erst nicht eingesehen haben. Aber mittlerweile hat es sich herumgesprochen und alle wissen es.

Und wer nimmt in der Regel teil?
Vom Schüler bis zum Rentner ist alles dabei, jeder ist willkommen. Es gibt Leute, die immer wieder kommen und es gibt immer wieder auch Neue. Manchmal denke ich mir „Vielleicht muss ich diesmal den Begrüßungsspruch nicht aufsagen, die Regeln nicht erklären“ – aber das war noch nie der Fall!

Inwiefern hilft diese Art von Veranstaltung Autoren dabei, sich weiterzuentwickeln?
Jeder schreibt ja erst einmal für sich, egal, was man schreibt. Und irgendwann will man irgendeine Form von Feedback. Man zeigt den Text seinen Freunden, man bespricht ihn vielleicht in einer Schreibwerkstatt. Und wir sind da, wie sagt man…die Feuerprobe!? (Überlegt) Das ist es nicht ganz – aber es ist ja so, dass man im nächsten Schritt das Publikum sucht. Ein älterer Herr zum Beispiel, der sehr gerne und oft kommt, ist besser geworden. Am Anfang hat er recht monoton vorgetragen und die Geschichten passten von der Länge her noch nicht in das Format hinein. Das sind so Sachen, die er mittlerweile ausgefeilt hat und offensichtlich gefällt ihm die Lesebühne sehr gut.

Sie geben auch Jungmusikern die Chance, sich auf der Offenen Lesebühne einem Publikum vorzustellen. Können die sich ebenfalls einfach anmelden?
Nein, die suche ich selber aus und lade sie ein. Es ist mir ein Anliegen, dass wir den Musikern eine erste Bühne bieten. Es muss zwar nicht unbedingt immer ihr erster Auftritt sein, aber zumindest ist es eine erste offizielle Bühne, mit Presse, Bild und Ankündigung. Da haben wir, würde ich sagen, wirklich eine Art Sprungbrettfunktion. Ich muss die Musiker schon kennen, damit ich sie einlade, daher höre ich sie mir vorher an. Allerdings würde ich mir mehr Mädchen wünschen, es wäre toll, wenn du das erwähnen könntest (lacht). Neunzig Prozent der Musiker sind Jungs.

Das Literaturhaus Nordhessen hat es sich zur Aufgabe gemacht Literatur zu vermitteln und zu fördern. Warum ist das Ihrer Meinung nach wichtig?
Um aus dem eigenen Horizont herauszukommen. Dafür muss es ansprechende Formate geben, für das lesende Publikum auf der einen Seite. Andersherum finde ich es aber genauso wichtig, dass man den Autoren eine Bühne bietet. Das tun wir für lokale Autoren, aber auch für deutschsprachige Autoren aus der Schweiz oder Österreich, die Erfolge feiern. Und gleichzeitig für Leute, die noch nicht die Erfolge haben, aber in diese Richtung gehen. Wir wollten zudem unbedingt Formate entwickeln, die junge Leute und Literatur zusammenbringen, in einer Art und Weise, die nicht verschult ist und die Spaß macht. Es ist unser Wunsch zu wachsen, Nachwuchsmitglieder zu finden, junge Leute, die zu uns kommen und fragen „Kann ich mitmachen? Was kann ich tun?“. Und genau das entwickelt sich durch unsere verschiedenen Angebote – wir schaffen einen Raum für Literatur.