
Carmen José (li.) und Rita Fürstenau (Foto: Range)
Rita Fürstenau, 1982 in Berlin, geboren, aufgewachsen in Hessen, kam 2001 zum Studieren nach Kassel. Aus dem anfänglichen Studienprojekt entstand 2007 der Verlag Rotopol, samt Buchhandel und Ladengalerie, den sie mit ihrer Kollegin Carmen José, seit 2016 im Team, leitet.
Von Tobias Range
Vielen Dank, dass du dir Zeit nimmst für dieses Interview, obwohl du bzw. ihr recht beschäftig seid. Woran arbeitet ihr zurzeit?
Wir planen das Jahr und verschaffen uns einen Überblick. Wir klären mit allen Künstlern ab, wie sie mit ihren Projekten vorankommen, ob sie ihre Deadlines für ihre Bücher einhalten können usw. Daran arbeite ich seit letzter Woche und bin gerade viel am Telefonieren. Des Weiteren steht die Buchhaltung für den Jahresabschluss und das Aufstocken unserer Bestände im Laden an. Dort bieten wir neben unserem eigenen Verlagsprogramm auch Bücher und Hefte von anderen Verlagen an, die den Schwerpunkt Comic oder Illustration haben. Dazu kommt die Planung der Veranstaltungen für dieses Jahr, zum Beispiel unsere Lesereihe „Tuesday Tales“, in der sich das Publikum mit einem Künstler zu seinem aktuellen Projekt austauschen kann. Wir kombinieren auch gerne die Veröffentlichung eines Buchs mit der Organisation einer Ausstellung, entweder hier in Kassel oder in einer anderen Stadt. Da muss ich schauen, dass es keine Überschneidungen gibt und wir nicht an einem Wochenende in zwei verschiedenen Städten sein müssen.
Ihr seid viel unterwegs?
Ja, wir sind hier in Kassel zu Hause und organisieren von hier aus alles, aber ansonsten sind wir viel unterwegs. 12-15 Festivals und Messen im Jahr nehmen wir mit. Entweder reist einer von uns hin, oder wir reisen zu zweit. Manchmal kommen auch noch einige unserer Zeichner mit, je nachdem wie groß die Veranstaltung ist. Und dann kommen natürlich noch Workshops, Vorträge und dergleichen dazu. Man hat immer viel zu tun (lacht).
Laut eurer Homepage versteht sich Rotopol nicht nur als Verlag, sondern als eine „Plattform für kreatives Potenzial“. Worin äußert sich das?
Wir wollen den Comiczeichnern und Illustratoren einfach viele Möglichkeiten bieten, um ihnen das passende Format zur Verfügung zu stellen und auch einem Publikum zugänglich zu machen. Da hätten wir die Klassiker wie Comic-und Illustrationsprojekte in Buchform aber auch Mischformen wie ausfaltbare Leporellos und Papierspiele, Kunstdrucke oder Formate im Papeterie-Bereich. Aber es kann auch mal eine eigene kleine Textilkollektion werden. Uns ist eine kontinuierliche Zusammenarbeit mit den Künstlern wichtig. Dennoch kann sich im Laufe eines Projekts herausstellen, dass dieses Projekt in einem anderen Verlag besser aufgehoben wäre. In solchen Fällen vermitteln wir auch gern.
Also hat das Kreative und Experimentelle seine Grenzen?
Ja, es hat Grenzen. Allein schon unsere Kapazitäten sind nicht unbegrenzt. Und wir müssen natürlich den Markt im Blick haben. Wir sind zwar keine Freunde von Marktforschung oder wollen nicht unbedingt nur für den Markt zugeschnitten produzieren. Aber natürlich müssen wir auch anerkennen, dass unser Vertrieb sehr auf Buch-und Comic- Handel ausgelegt ist. Da müssen wir realistisch bleiben.
Mal angenommen, ich hätte eine Idee zu einem Comic. Welche Qualitäten bräuchte meine Idee, damit Rotopol sie veröffentlicht?
Das ist schwierig. Deine Idee braucht auf jeden Fall eine eigene Handschrift. Du musst einen eigenen Stil oder eine Perspektive gefunden haben, die deine Idee für uns interessant macht. Ich finde Mischformen und alles, was in den Grenzbereich des grafischen Erzählens fällt, sehr spannend und inspirierend. Wir haben z.B. Erzählungen, die gar keinen Text haben, sondern eher so etwas wie grafische Poesie sind. Was uns auch interessiert, sind Projekte, zu denen die Künstler einen sehr persönlichen Zugang finden. Also zum einen auf der inhaltlichen Ebene und zum anderen auf der stilistischen Ebene. Dazu kommt noch die Erzählform, also wie die Geschichte erzählt wird. Wenn man einen experimentellen Zugang dazu wählt, kommt man eher zu Formen, die sich gar nicht so eindeutig einordnen lassen.
Zum Thema Standort: Warum seid ihr in Kassel geblieben? Gab es Alternativen?
Nach dem Studium an der Kunsthochschule gehen viele weg aus Kassel. Die Auftragslage ist in Städten mit großen Medienhäusern wie Berlin oder Hamburg anders. Dennoch haben wir uns für Kassel entschieden. Zum damaligen Zeitpunkt war die Straße hier stark von Leerstand geprägt: Viele Bretter vor den Ladenfenstern. Es gab einige Antiquitätenhändler und das war’s dann schon fast. Dennoch bot Kassel uns viele Vorteile, wie günstige Mietpreise und wenig Konkurrenz. Rotopol war damals eher noch ein Experiment, wir wussten noch gar nicht, was auf uns zukommen wird. Man konnte sich ausprobieren und schauen, wohin die Reise überhaupt gehen soll und dafür war Kassel der richtige Standort. Und auch jetzt sind wir nach wie vor gern hier. Die Art zu leben ist hier entspannter, als in den Großstadtmetropolen. Kassel liegt sehr zentral und innerhalb der Stadt sind die Wege kurz. Und trotzdem finde ich, dass Kassel ein großes und wachsendes kulturelles Angebot hat. Auch unsere Zusammenarbeit mit der Kunsthochschule und der Klasse für Illustration und Comic ist etwas, dass ich nicht missen möchte. Da wir viel reisen, wird’s uns eh nie langweilig.
Warum braucht Kassel einen Verlag wie Rotopol?
Ich habe das Gefühl, dass sich Rotopol zu einem Ort entwickelt hat, an dem man viel entdecken kann. Uns passiert es nach wie vor, dass Leute in Kassel der Meinung sind, wir wären ganz neu hier, obwohl wir nun mittlerweile fast 11 Jahren den Laden hier haben. Vielleicht erzielt unser Schaufenster nicht genug Aufmerksamkeit (lacht). Es ist halt immer noch ein Laden mit seltsamen Büchern in Kassel. Man greift wohl eher nach einem geschriebenen Roman oder Krimi, anstatt einen gezeichneten Krimi zu kaufen. Aber wir werden nicht müde, diese Hemmschwellen kontinuierlich abzubauen. Und unser wachsendes Stammpublikum ist eine positive Entwicklung.
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